Schüler-Coach – Ein Mehrgenerationen Projekt aus Cadolzburg
Aktualisiert am 04. Februar 2019 von Daniel Bendl
Aus frustrierten Jugendlichen werden frustrierte Erwachsene. Schüler-Coach setzt früher an und verhindert diese Frustration schon in der Schule.
Warum wird über die Jugend geschimpft? Weil es leicht ist sich über die Jugend zu beschweren? Sittenverfall und fehlende Moral anzuklagen ist so schön einfach. Es ist bequem. Bequemlichkeit ist jedoch in den seltensten Fällen die Grundlage für Veränderungen. Aus dem inneren Wunsch nach Veränderung muss ein Wille zum Wandel entstehen. Denn nur wo ein Wille ist… na ihr wisst schon.
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2005 hat sich Peter Held auf den Weg gemacht die Idee des Schüler-Coachs in Cadolzburg zu initiieren und zusammen mit Bürgermeister, Jugendamt und einem Schulleiter dieses Mehrgenerationen-Projekt auf die Erfolgsspur zu bringen. Fast zehn Jahre später stieß ich zufällig auf das Thema. Nach dem Einkauf traf ich vor einem Langenzenner Supermarkt den Schülercoach Wolfgang Herrmann, der an einem kleinen Infostand für die Stiftung warb. Wir kamen ins Gespräch und da mich das Projekt Der Schülercoach überzeugte, vereinbarten wir einen Interview-Termin.
Welche Idee steckt hinter der Stiftung Schülercoach?
Das, was wir so aktiv betreiben, ist etwas, was die Gesellschaft braucht. Allerdings weiß die Gesellschaft nicht, dass sie es braucht. Viele Menschen wissen um die Problematik Jugendarbeitslosigkeit. Viele verdrängen oder ignorieren es jedoch und einige versuchen sich mit Geld aus der Verantwortung frei zu kaufen. Aber auch Fachkräftemangel und Demoskopie spielt eine Rolle. Die Alterspyramide hat vermutlich jeder im Kopf. Das ist seit 40 Jahren bekannt, aber plötzlich sind alle überrascht. Wir haben 100.000 Schulabgänger, die ohne Schulabschluss bleiben und lassen 300.000 Jugendliche in diversen Übergangssystemen versanden. Hinzu kommt die Tatsache, dass 20 Prozent der Ausbildungsverträge – aus welchen Gründen auch immer – abgebrochen werden. Das kann am Ausbildungsbetrieb liegen, aber vornehmlich liegt das am Jugendlichen. Als Gesellschaft wenden wir Milliardenbeträge auf, um das irgendwie wieder zu reparieren.
Aus frustrierten Jugendlichen werden frustrierte Erwachsene, denn diese Frustration hält an. Hartz 4 ist die Folge, teilweise generationenübergreifend und langfristig ist auch Altersarmut absehbar. Welche Rückschlüsse ziehen wir daraus? Was ist unser Lösungsansatz? Wir setzen bei den Schülern an. Im Landkreis Fürth sind ca. 100 Coaches vertreten. In allen Mittelschulen liegt aber der eigentliche Bedarf an Schülercoaches bei 240. Und dabei haben wir noch nicht einmal Realschulen und Gymnasien im Fokus. Dort gäbe es die selben Bedarfe. Gerade diejenigen, die von den Eltern nach dem Motto "Du musst!" ins Gymnasium getrieben werden. Das ist nicht nur im Landkreis Fürth so. Das gilt genauso für Nürnberg, den Landkreis Nürnberg oder jede andere Stadt. Es ist überall die gleiche Situation.
Wie gehen Sie konzeptionell vor?
Wir versuchen die Kinder beim Lernen bzw. bei der Motivation zum Lernen zu erreichen – auf einer emotionalen Schiene. Respektvoller Umgang untereinander ist bei vielen auch noch nicht fortgeschritten. Selbstvertrauen, Selbstverantwortung zu stärken sind weitere Punkte. Nur wer Selbstvertrauen hat kann Motivation zum Lernen generieren und für sein Handeln Verantwortung übernehmen. Auch das Thema Berufswahl haben wir Schülercoaches im Fokus.
Auf welchem Weg können sich Schüler für einen Schülercoach entscheiden?
Erst vor kurzem habe ich zusammen mit zwei Kolleginnen aus dem Schülercoach-Kreis Interviews mit 53 Sechsklässlern geführt. Jedes einzelne Interview steht unter der Frage "Willst du einen Schülercoach, ja oder nein?" und dauert ca. eine Viertelstunde. Vorweg haben wir in der großen Runde vor der Klasse erst einmal vorgestellt wer ein Schülercoach ist und was ein Schülercoach macht und nicht macht. Von den 53 Schülern hatten gerade einmal fünf eine ungefähre Idee, was sie später einmal beruflich machen wollen. Und da wird es interessant. Weiß ich nicht, wo ich später einmal hin will, dann stelle ich mir u.a. in der Schule die Frage "Was mache ich hier überhaupt?". Ich möchte das nicht als Orientierungslosigkeit bezeichnen, aber dennoch sollte eine grobe Zielvorgabe vorhanden sein. Unsere Aufgabe ist es zu überlegen, wie ich die Stärken und Schwächen des Einzelnen anzapfen kann, sodass dieser seinen beruflichen Weg selber finden kann.
Gibt es eine Abstimmung mit den Eltern?
Ja, die Eltern werden in einem Elternbrief informiert, den die Schüler nach der ersten Vorstellungsrunde mit nach Hause nehmen. Darin klären wir die Eltern über die Systematik auf und kündigen zusätzlich das bevorstehende Einzelinterview mit dem Schülercoach an. Auch eine Broschüre, Fragebogen sowie die zu unterschreibende Einverständniserklärung geben wir mit nach Hause. Sagt am Ende der Schüler bzw. die Schülerin nicht "Ja, ich will einen Schülercoach", dann kümmern wir uns auch nicht darum. Aufgrund der Einverständniserklärung braucht der Schüler die Unterschrift der Eltern und muss diese darum auch davon überzeugen.
Wie finden Schüler und Schülercoach zusammen?
Meist Ende der sechsten Klasse findet ein Schnuppergespräch statt, bei dem wir Schüler und Schülercoach zusammen bringen. Aus dem Interview wissen wir wie die familiäre Situation ist, welche Hobbys der Schüler hat und so hat man eine gute Möglichkeit einen möglichst passenden Schülercoach zuzuordnen. Im letzten Schuljahr hatten wir beispielsweise eine Schülerin, die im Fragebogen Fußball als Top-Interesse angegeben hatte und unbedingt einen Mann als Schülercoach wollte. Das sind also konkrete Ansatzpunkte für uns einen passenden Tandem-Partner unter den Schülercoaches zu finden. Aber auch der Ort ist wichtig. Wohnt die Schülerin in Puschendorf, sollte der Coach nicht unbedingt aus Cadolzburg kommen müssen. Die räumliche Nähe sollte schon gewahrt bleiben.
Wenn das Schnuppern funktioniert – manchmal stimmt eben die Chemie nicht, dann kommt ein anderer Kollege oder eine andere Kollegin ins Spiel – kann das Coaching beginnen, es kommt also zur sogenannten Tandem-Bildung. Wichtig zu erwähnen: Der Zeithorizont ist 7., 8. und 9. Klasse, also drei Jahre. Das ist nicht so mal eben zu erledigen, sondern auch ein Schülercoach muss sich im Klaren sein, für was er sich hier bereit erklärt.
Wie laufen die Coaching-Termine in der Regel ab?
Häufig holen die Schülercoaches die Schüler von der Schule ab. Jetzt ist die Schule gegen 13:30 Uhr zu Ende, funktioniert also für berufstätige Coaches nicht. Einer meiner Kollegen trifft sich deshalb mit seiner Schülerin Samstags. Das sind aber Dinge, die meist beim ersten Kennenlernen geklärt werden. Schüler und Schülercoach vereinbaren einen wöchentlichen Termin je nach Zeitbedarf. Das kann mal eine halbe Stunde oder auch ein bis zwei Stunden sein. Die beiden klären ebenso untereinander wann und wo sie sich treffen. Das kann ein fester Rhythmus sein oder es wird von Woche zu Woche individuell abgestimmt. Zu Beginn stellt sich der Coach bei den Eltern vor und stellt klar, dass er nicht Sprachrohr des Tandems ist. Wenn die Eltern etwas erfahren wollen, dann bitte über das Kind. Das ist Teil der Grundbeziehung: Vertraulichkeit innerhalb des Tandems.
Welche Voraussetzungen sollte ein Schülercoach erfüllen?
Er muss eine freiwillige Erklärung mitbringen, dass er sich dem Thema Schülercoaching widmet und ihm klar ist, dass es sich um ein Ehrenamt handelt und das der Umgang mit Kindern im Fokus steht. Das hat selbstverständlich zur Folge ein erweitertes Führungszeugnis vorzulegen. Darin werden gegenüber dem normalen polizeilichen Führungszeugnis nicht nur Straftaten abgefragt, sondern auch Auffälligkeiten im Bereich mit Kindern und Jugendlichen. Das sind die Dinge, die wir als Coaching-Organisation berücksichtigen müssen. Darüber hinaus sagen wir, dass ein Schülercoaching erst ab einer gewissen Lebenserfahrung Sinn macht. Darum sollte man mindestens 25 Jahre alt sein. Im meinem Team ist die Jüngste gerade 25 und der Älteste 68.
Erfährt man von den neuen Schülercoaches etwas über ihre Intention dieses Ehrenamt zu erfüllen?
Wir versuchen bei jedem neuen Coach zu Hause gewesen zu sein, um die Lebensumstände zu kennen. Ich lasse mir auch erzählen was er oder sie so macht und wo die Motivation liegt. Und die Motivation ist so zahlreich, wie wir Coaches haben. Beispiel: Die eigenen Kinder sind aus dem Haus und man möchte daran anknüpfen sich um jemanden zu kümmern. Etliche Schülercoaches sind auf der Schiene gesellschaftlich etwas tun zu wollen. Frei nach dem Motto "Ich habe Zeit, ich kann noch etwas für die Gesellschaft tun."
Wie viele Schüler kann man als Schülercoach haben?
Einen. Es gibt immer nur eine 1:1-Beziehung im Tandem. Stellen Sie sich vor Sie haben zwei Schüler aus einer Klasse. Wie wollen Sie da eine Beziehung aufbauen?
Bezüglich des Ursprungs in Cadolzburg wird das Modell Ihrer Stiftung als 'Cadolzburger Modell' bezeichnet. Für welche Punkte steht dieses Modell aber konkret?
Das Cadolzburger Modell zielt auf drei Bereiche ab: die Persönlichkeit des Schülers, die schulischen Leistungen und die Ausbildung. Alle drei Bereiche betrachten wir als aufeinander aufbauend. Es bedeutet in jedem Fall eine emotionale Begleitung. Wir sind keine Lehrer. Wir vergeben keine Noten. Wir sind nicht Eltern. Wir erziehen nicht. Wir sind darum nicht Teil einer Konfliktpartei, sondern wir stehen außerhalb dieser Konflikte und sind so etwas wie der erwachsene Ratgeber. Hat der Schüler oder die Schülerin ein Problem oder eine Fragestellung, kann ich als Schülercoach auf Grund meiner Lebenserfahrung einen Rat, eine zweite Meinung geben. Die kann angenommen werden, muss aber nicht.
Findet ein Austausch zwischen den Schülercoaches statt?
Wir treffen uns ein mal im Monat zum sogenannten Blitzlicht, bei dem wir über unsere Erfahrungen sprechen. Wie bei einer Supervision steht uns jemand neutrales zu Seite, der uns psychologisch unterstützt und unsere Fragestellungen und Diskussionen aufgreift und aus einer anderen Perspektive beleuchten kann. Die zu Tage geförderten Meinungen kann man dann in die eigene Entscheidungsfindung einfließen lassen. Im internen Bereich unserer Internetseite haben wir z.B. Bausteine bzw. Ideen zur Coaching-Gestaltung.
Nach drei Jahren kann die Beziehung von Schüler und Schülercoach vermutlich sehr eng und auf einer hohen Vertrauensebene sein. Was zeigen die Erfahrungen? Wie wird ein Schülercoaching nach dieser Zeit beendet?
Offiziell hört es dann auf. Er oder sie geht in die Ausbildung oder eine weiterführende Schule. Aber hat die Beziehung gut funktioniert – was in der Regel der Fall ist – wird die Beziehung auch weiterhin erhalten und der Kontakt gepflegt. Der Rat wird dann nicht mehr als Schülercoach gegeben, sondern als erwachsener Freund. Das führt uns auch wieder zum Cadolzburger Modell zurück wo wir über die emotionale Ebene agieren und nicht trimmen bzw. Nachhilfe geben wollen. Ziel ist das Erkennen: "Ja, ich lerne nicht für Schule oder Eltern, sondern für mich."
Wie finanziert sich die Stiftung Der Schülercoach?
Da ist z.B. ein Ehepaar, dass die Sache gut findet und mal 100 Euro gibt, die Sparkasse ist dabei und überreicht uns einen vierstelligen Betrag, aber es ist leider in der Summe nicht so viel, dass wir Großes bewegen können. Ich bin mir aber sicher: Wenn man da etwas mehr Power reinsteckt und die Gesellschaft darüber informiert, dass es auch den einen oder anderen Unternehmer gibt, die hier etwas tun wollen. Insbesondere Unternehmen fragen nach Fachkräften, nach Absolventen, nach Auszubildenden. Also eine gute Möglichkeit schon frühzeitig zu motivieren und zu investieren.
Kommen wir zurück zum Tandem: Was passiert nachdem Sie Ihre Schülerin von der Schule abgeholt haben?
Passt das Wetter, geht man miteinander Eis essen oder macht eine Radtour zusammen. Sternwarte, Zoo, was es alles an Freizeitunternehmungen gibt, ist natürlich auch für Schüler und Schülercoach möglich. Bei schlechtem Wetter ist meist der Lebensraum, also Wohnung oder Haus des Coaches, die Aura des Tandems. Ob ich mit meiner Schülerin einen Kuchen, eine Pizza backe oder mit ihr einkaufen gehe und erfahre, dass sie das erste mal in ihrem Leben einkaufen war: Jede dieser Situationen kann für das Coaching sinnvoll sein. Ein Kollege erzählte mir neulich, dass beim Spaziergang mit seinem Schüler dieser plötzlich ein GPS-Gerät hervor holte und vorschlug sich auf die Jagd nach Geocaches zu begeben. Über diesen spielerischen Ansatz lassen sich selbstverständlich ganz hilfreiche schulische Themen wie Topografie bzw. Geografie einbeziehen. Es muss klar gesagt werden: Wir wollen nicht nur der reine Freizeit- und Bespaßungspartner sein. Das ist nicht das Ziel. Zur Vorbereitung auf den Alltag eines Erwachsenen gehört es auch, dass ich den Schüler mal mit in die Autowerkstatt nehme oder zur Telekom-Filiale, weil ich dort irgendetwas klären muss.
Aus welchen Elternhäusern kommen die Schüler?
Die überwiegende Zahl der Schüler wohnt in einem Alleinerziehenden-Haushalt. Wir haben aber auch Kinder aus Unternehmerhaushalten, wo alles immer über Geld geregelt wird. Da kann der Coach ein Äquivalent setzen.
Nun zu Ihnen persönlich? Wie sind Sie Schülercoach geworden?
Ich bin vor knapp zwei Jahren durch einen Zeitungsartikel auf die Stiftung aufmerksam geworden. Nachdem ich mich über die Website näher informiert hatte war klar, dass ich mich dort einbringen möchte. Ein Informationsabend brachte mir die Erkenntnis: Ja, hört sich gut an. Dort mache ich mit. Da ich die Eigenart besitze magnetische Finger zu haben (lacht), habe ich gleich gesagt ich kann auch mehr machen. Nicht nur als Schülercoach, sondern auch organisatorische Aufgaben übernehmen.
Fazit
Sich auf den Weg zu machen ist mit einem klaren Ziel vor Augen viel leichter. Bei großen Zielen, die zunächst unerreichbar erscheinen, hilft eine große Portion Idealismus und nicht weniger Optimismus. Das haben die ehrenamtlichen Schülercoaches der Stiftung Der Schülercoach mit allen anderen Ehrenämtern gemeinsam. Ihr großes Ziel ist es, Schüler frühzeitig an die Hand zu nehmen und sie als erwachsener Vertrauter auf dem schwierigen Weg durch schulische Anforderungen, elterliche Ansprüche, gesellschaftliche Forderungen, pubertäre Herausforderungen und vieles mehr zu begleiten.
Das Engagement, welches ich aus dem Gespräch mit Wolfgang Herrmann mitgenommen habe und das stellvertretend für die vielen anderen Schülercoaches steht, sollte unterstützt und gefördert werden. Die Arbeit ist ehrenamtlich, aber Geld wird trotzdem benötigt. Ob als kleine Anerkennung für Dinge wie Fahrtkosten oder große Beteiligung im Sinne der Verbreitung dieser tollen Idee (Ja, Flyer und anderes Material kosten Geld) ist Mithilfe gefragt. Nicht nur die von Wolfgang Herrmann angesprochenen Unternehmer sollten die Chance ergreifen ihren Fachkräften von morgen frühzeitig unter die Arme zu greifen. Insbesondere die Politik als demokratischer Arm der Gesellschaft sollte die Chancen erkennen und die Gelegenheit ergreifen Projekte wie Der Schülercoach finanziell dauerhaft zu fördern. Und mit dauerhaft meine ich fortlaufend. Denn wie jede gemeinnützige Vereinigung brauchen auch die Schülercoaches Planungssicherheit. Und diese hat man nur, wenn man mit fixen Summen planen kann.
Interesse?
Für Menschen, die sich für das Thema Schülercoach interessieren und sich evtl. vorstellen können selbst Schülercoach zu werden, bietet die Stiftung unverbindliche Informationsabende an. Eine aktuelle Liste mit Terminen ist hier auf der Internetseite der Stiftung zu finden.