Winterblue(s). Ein Winterzeltplatz mit Tücken

Aktualisiert am 04. Februar 2019 von und Ina Niederlich
Angler am Strand der Adria bei Sonnenaufgang

Frühmorgens an der Adria: Fischen bei Sonnenaufgang. Foto: © Ina Niederlich / Nürnberg und so

Sind wir ehrlich. Es sind auf Reisen oft die Speisen, besonders gut, besonders schlecht und die Begegnungen mit Frauen, die uns im Gedächtnis bleiben. Archäologische Überreste und Gebeine verdienter Heiliger üben weniger Sogkraft aus, als die Fremdenführer gerne behaupten. In diesem Fall schwingt ein wenig Neid mit. Wieder mal hat Ina, mit ihrem feinen Näschen für das Besondere, Akzente gesetzt. (Die Frauenbegegnung kommt später, keine Angst).

Pizza mit frischen Meeresfrüchten

Pizza

Foto: © Ina Niederlich / Nürnberg und so

Vor dem verdienten Mittagsmahl mussten wir erstmal suchen, suchen, suchen. Im schönen Adria-Städtchen Numana entdeckten wir eine Perle der Gastronomie, die sich nicht zu fein war, im Januar ihre Gäste zu verwöhnen. Pizza Meeresfrüchte ist in Deutschland fast immer eine scheußliche Wahl mit undefinierbarem Zeug aus einer Discounter-Gefriertüte, null Geschmack und der Konsistenz von Radiergummi. Die adriatische Variante bei L’Angolo in Numana bot leckere frische Miesmuscheln, frischen Tintenfisch und Riesenscampi. Ich war mit meinen Tortellini alla Funghi nicht auf geschmacklichen Abwegen, aber deutlich schlechter bedient. Punkt für Ina!

Ein glücklicher Bauer vom Pilsen See

Tischgespräch

Foto: © Ina Niederlich / Nürnberg und so

Am Nachbartisch hat derweil ein Pärchen Platz genommen, dass zwar fließend italienisch bestellt, aber miteinander bayerisch redet. Kommunikation ist alles und ich werde vorstellig, ob sie mir nicht bissel von sich erzählen mögen. Denn es sind seit unserer Abreise die ersten Deutschen, die wir treffen. Heidi Keller und Bernhard Neumüller kommen gerade vom Kurzurlaub auf Ischia, auf ihr adriatisches Anwesen in Omana zurück.

Standort Porto Recanati

Grafik: © Daniel Bendl / Nürnberg und so

Bernhard Neumüller ist ein schlanker Mann in den Siebzigern. Sein Händedruck verrät, dass er sich seinen Wohlstand nicht am Schreibtisch allein verdient hat. Und wirklich: Er stammt aus der Gegend um den Starnberger See, genauer gesagt vom kleineren Pilsen See aus dem bayerischen Fünfseenland. Dort besitzt er einen schönen Bauernhof mit 76 Hektar Land. Von Kindheitsbeinen an hat er hart gearbeitet. Zu seiner „Wohlhäbigkeit“, wie es bei meinem bayerischen Lieblingsdichter Oskar Maria Graf immer heißt, mag der Aufschwung der Grundstückspreise in einer der teuersten Wohngegenden Deutschlands seinen Teil beigetragen haben. Aber Bernhard Neumüller wirkt nicht wie ein Günstling des Glücks, eher wie ein freundlicher Individualist und schwer arbeitender Mensch, wenn er so erzählt: „Vor 20 Jahren hat meine Frau plötzlich ‚angeregt‘, dass wir auch mal in den Urlaub fahren müssen. Ich bin gleich erschrocken! Aber dann ist mir wieder eingefallen, dass ich schon als Bub diese Italienliebe hatte. Mit 17 wollten wir schon mal mit den Rädern auf die Halbinsel, aber wir sind unten am Brenner umgekehrt. Mit 19 hab‘ ich es dann geschafft, im Herbst, allein, eine Woche.“ Neumüller lacht verschmitzt, sein echtes, gutes, wissendes, freundliches Bauernlächeln. „Jedenfalls hab ich mich ‚überreden‘ lassen – eine Woche! Wir hatten hier gleich ein saumäßiges, das schlechteste Quartier. Die Italiener hauen dich ja immer übers Ohr, wenn du nicht Obacht gibst. Da hab ich mich gleich schon mal umgeschaut.“ Im kommenden Jahr hat er dann die Umschau wiederholt und im dritten zugeschlagen: Ein stattliches Anwesen, ein Hektar Land, hat er erworben. „Ich muss ja immer was zu tun haben“, erklärt er, „Oliven, Wein, Kirschen, Pfirsiche baut er an und lebt etwa die Hälfte des Jahres an der Adria. „Ich hab‘ ja außerdem meinen Giardiniere (Gärtner), der mir hilft“. Das klingt nach einem guten Lebensabend und zufriedener Lebensausbeute.

Ob ihn diese Kleinigkeit trotzdem wurmt? Trotz aller Lebensleistung bot ihm die Landwirtschaftskasse mit 65 Jahren „400 Euro Rente im Monat an. Dafür wollten sie mir tausend Vorschriften machen. Ich soll den Hof überschreiben, dies und das. Da hab ich verzichtet. So kann mir wenigstens keiner dreinreden“.

Campingplatz im Winter

Foto: © Peter Budig / Nürnberg und so

Winterblues: Ein Zeltplatz, ein echter Zeltplatz!

Und auf diese Weise kamen wir dann noch zu einer Übernachtung mit Wifi, Strom und Toiletten. Heidi Keller, die Partnerin von Neumüller, wusste davon: „Im Rondell von Porto Recanati“, erinnert sie sich, „ist ein Campingplatz, der hat im Winter offen“. Da der Besitzer auch das Ristorante Fabietto betreibt, lässt er den Campingplatz mitlaufen. „Dusche, warmes Wasser, Toiletten, Wifi und Strom“ verspricht uns die großgewachsene Bedienung aus der „Republik Tschechien“, die seit zehn Jahren hier lebt und arbeitet. Ein Traum, praktisch. Nach den letzten Erfahrungen. Leider ist ein bisschen schwindeln in Italien Volkssport. Ich war indessen ein klein wenig in rosa Gefühlen unterwegs. Francesca, die hübsche blonde Pinscherbesitzerin aus der Bucht von Portonovo hatte mir eine Nachricht geschrieben. Sie hatte ganz wunderbare, riesige blaue Augen und einen süßen Überbiss, ungefähr wie die junge Tina York, wenn sich die Älteren vielleicht erinnern. Sowas mag ich, irgendeine frühkindliche Prägung wahrscheinlich. Schluppdiwupp waren wir auf Facebook befreundet. Sie spricht Englisch, Französisch und sogar ein bisschen Deutsch – ein Wunder in Italien. Trotzdem ist sie arbeitslos. Mal sehen. Vielleicht können wir am freien Tag ein bisschen Spazieren gehen. Die Pinscher müssen ja raus.

Campingplatz im Winter

Foto: © Peter Budig / Nürnberg und so

Vorsicht! Ein bisschen Neppitalia droht immer

Abendessen im Ristorante Fabietto am Campingplatz: Eine Speisekarte bekommen wir nicht. Vielleicht ahnt unsere Bedienung, die nette Tschechin, dass wir uns mit den italienischen Bezeichnungen manchmal ein wenig schwertun? "Pizza oder frittierten Fisch?", fragt sie. Pizza hatten wir heute schon. Also fällt die Wahl auf Fisch. 24 Euro für eine Platte mit Scampi, Tintenfisch, Riesengarnelen und Sardinen. Dazu Pommes (5 Euro) und eine Dreiviertel-Liter-Kanne mit geschmacklosem, dünnem Billig-Rotwein. Aus dem 5-Liter-Plastikkanister? Am Ende 40 Euro, wir hatten schon bessere Deals.

Peter Budig sitzt in Sonne vor Camper

Foto: © Ina Niederlich / Nürnberg und so

Hartnäckige Rosenkrieger

Ina Niederlich mit Rosenverkäufer

Foto: © Peter Budig / Nürnberg und so

Sind's die Rosenverkäufer aus Bangladesch, die ihm leidtun? Oder möchte er bei libyschen Wüstensöhnen ein Zeichen setzen? Das Wohnmobil gleicht inzwischen einem kleinen Blumenladen. Auch wenn ich jedes Mal dankend ablehne, kann Peter den bittenden Blicken der mobilen Blumenhändler nicht widerstehen. Einer allerdings ist zu aufdringlich. Durch die Rosen, die bereits zwischen Fischgräten und leeren Weingläsern auf unserem Tisch liegen, wittert er Geschäfte. Abwimmeln lässt er sich nicht. Immer wieder hält er mir die Rosen unter die Nase, versucht's mit charmantem Lächeln, mit auffordernden Gesten. Erst als Peter Tisch, Teller und Gläser mit einem kräftigen Faustschlag zum Beben bringt, trollt er sich nach draußen.

Vor dem Schlafen noch eine heiße Dusche? Das wäre es jetzt! Also erkundigen wir uns bei der Kellnerin, die uns zum Campingplatz-Chef führt. Mit strengem Blick sitzt er an einem Tisch im Restaurant, wacht über das Geschehen wie ein König über sein Reich. Dusche? "Rotto!" Kaputt! Dann eben nicht...

Sonnenaufgang hinter Gittern

Tisch mit Rotwein und Rose

Getränk des Tages: Reichlich Billig-Rotwein im Camping-Restaurant. Foto: © Ina Niederlich / Nürnberg und so

Um 7.38 Uhr geht heute in Porto Recanati über dem Meer die Sonne auf. Das könnten hübsche Bilder werden, denke ich und stelle den Wecker. Während Peter noch friedlich in seinem Bett ganz leise vor sich hin schnarcht und von Francesca träumt, schleiche ich mich mit dem Fotoapparat aus dem Globebus. Allerdings wird meinem Vorhaben schnell ein Ende gesetzt. Das große, eiserne Tor an der Einfahrt - geschlossen! Der gesamte Campingplatz - eingezäunt! Schlupflöcher gibt es nicht. Erst als der Campingplatz-König mich suchend herumschleichen sieht, gewährt er mir Ausgang. So kann ich das romantische Natur-Schauspiel immerhin noch im letzten Moment mit der Kamera einfangen.

Nächste Etappe: Wir gönnen uns einen Tag ohne Weiterreise. In Porto Recanati lässt es sich ganz gut aushalten - auch ohne Dusche. Morgen geht es weiter Richtung Süden.

Der Reise weiter folgen


Oskar Maria Graf

Foto: © Ullstein
Buchverlage

Oskar Maria Graf Er ist leider ein wenig in Vergessenheit geraten, der hier erwähnte und vielleicht sprachgewaltigste unter den bayerischen Dichtern. Der gelernte Bäcker aus Berg am Starnberger See hat das bayerische Leben um die Wende des letzten Jahrhunderts wie kein anderer nacherzählt. Sein berühmtestes Werk ist der Weltkriegs- und Weimarer Republik-Roman „Wir sind Gefangene“. Darin schildert er seine Jugendjahre in München, seine politisches Erwachen, sein Scheitern. Noch empfehlenswerter: „Das Leben meiner Mutter“, das es auch als wundervolles Hörbuch, gelesen von Gustl Bayrhammer gibt. Ein grandioses Sprachbild des bäuerlich-handwerklichen Lebens am bayerischen Land.

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