Vom Menschsein und Anderswosein – ein Gespräch mit Anselm Nathanael Pahnke

Aktualisiert am 04. Februar 2019 von
Afrikareise

Nach mehreren Tagen Sandwüste, freue ich mich auf ein Bauwerk zu stoßen, das Windschatten bietet Foto: © Nathanael Pahnke

Eigentlich war das alles ja gar nicht so geplant gewesen – das mit dem so lange bleiben, das mit dem Alleinsein und dem Weg zu sich selbst. Doch die Frage ist, ob man in diesem Leben so etwas überhaupt planen kann. Vielleicht kommt alles, wie es kommen muss und man sollte einfach loslassen und den Moment leben. Anselm Nathanael Pahnke hat es einfach gemacht und ist ein Mal mit dem Fahrrad um die Welt gereist.

Nach seinem Abschluss in Geophysik und Ozeanographie, beschließt der Hamburger Student Anselm Nathanael Pahnke kurzerhand seine Wohnung aufzulösen und mit nichts als einem Drahtesel, sowie einer Hand voll Gepäck auf eine Reise quer durch den afrikanischen Kontinent aufzubrechen. Auf seinem Weg begleiten ihn eigentlich zwei Freunde, doch nach drei Monaten brechen die beiden ab und Nathanael steht vor einer wichtigen Entscheidung: Heimkehren oder weiterfahren? Der Schock sitzt tief und die Angst vor dem Alleinsein ist omnipräsent, doch schließlich siegen das Fernweh und die Neugierde. Er setzt seine Reise fort und tritt in die Pedale: Namibia, Simbabwe, Sambia, Malawi, Tansania, Burundi, Ruanda, Uganda, Kenia, Äthiopien, und dann durch die Sahara in den Sudan weiter nach Ägypten, danach der Nahe und Mittlere Osten, durch China und über den Himalaya nach Südostasien bis nach Sydney. Er legt 40.000 Kilometer zurück und durchquert 40 Länder. Auf seiner Reise begleitet ihn dabei sein steter Freund – die Kamera - sie dokumentiert die Höhen und Tiefen, die schönen Momente und gefährlichen Situationen, atemberaubende Landschaften und wilde Tiere, die Begegnungen und das Alleinsein und schließlich die Suche nach sich selbst. Nach der Rückkehr entsteht aus dem Material spontan der Film „Anderswo. Allein in Afrika.“, der eine neue Sicht auf den Kontinent und seine Menschen ermöglichen soll. Eine Dokumentation über den Mut des Loslassens und die einfachen Freuden des Lebens. Eine offene und ehrliche Antwort auf vielleicht viele Fragen der jungen Generation von heute.

"Nathanael, du hast eine faszinierende Reise quer durch Afrika gemacht. Jetzt, mehr als ein Jahr nach deiner Rückkehr, kannst du auf deine Reise und deine damaligen Erfahrungen zurückblicken. Hat dich diese Zeit verändert?"

Nathanael: „Vor der Reise hatte ich ein vages Gefühl, etwas zu suchen: Intensität und Lebendigkeit. Das habe ich erlebt. Nicht plötzlich, sondern Tag für Tag. Wenn man sich nur aus eigener Kraft bewegt, Wasser suchen muss und ganz nah an der Natur ist, spürt man eine ganz grundlegende Art von Leben. Dabei waren auch die unschönen Seiten wichtig: Angst, Unsicherheit und Einsamkeit. All das gehört dazu und ich wollte es wahrnehmen. Irgendwann konnte ich diese Emotionen in mir dann auch annehmen und entwickelte ein tiefes Vertrauen in mich selbst. Ich habe die Erkenntnis erfahren, dass die Einsamkeit auch eine schöne Kehrseite hat und dass das Alleinsein, wenn man es akzeptiert, bereichernd, ehrlich und wunderschön sein kann. All das gibt mir heute viel Kraft und Selbstvertrauen. Ich spüre, dass ich viel mehr bei mir bin und kann dadurch auch besser mit allem umgehen, es differenzieren.“

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"Kannst du dich noch daran erinnern, was dir am Tag deiner Abreise durch deinen Kopf ging?"

Nathanael: „Ich war ziemlich entspannt, vermutlich weil ich nicht wirklich einen festen Plan hatte. Ich hatte die Reise nur zwei Tage lang vorbereitet und alles total spontan entschieden. Meiner Familie gegenüber habe ich nichts von meinem Plan erwähnt und erst vom Flughafen aus angerufen und gesagt: Ich bin in Afrika. So konnte mich niemand verunsichern und ich mir nicht zu viele Sorgen machen. Bei verrückten Ideen ist es manchmal besser, niemanden zu involvieren und es erst mal für sich selbst zu machen."

"Und wie hast du die ganze Reise finanziell gebacken bekommen?"

Nathanael: „Ich habe auf meiner Reise nicht viel gebraucht. Fast jede Nacht schlief ich in freier Wildbahn in meinem Zelt, hatte weder Versicherung, noch Ausgaben für Reisemittel oder Unterkunft. Wenn man sich mit dem nötigsten glücklich fühlt, genügen 4-5 Euro am Tag. Ich bin davon überzeugt, dass Zeit und Geld nicht der Faktor sind, warum eine Reise nicht stattfindet. Es ist eine andere Angst, die nur durchs Herausfinden gebrochen werden kann. Man muss die Dinge selber ausprobieren und erleben.“

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"Nach drei Monaten brechen deine zwei Begleiter ab und kehren zurück. Wie war das Gefühl, plötzlich auf einem so fremden Kontinent mit sich allein zu sein?"

Nathanael: „Ich glaube, dass viele von uns das Alleinsein scheuen und so ging es mir auch. Ich war es gewohnt, immer unter dem Lärm der Gesellschaft zu sein und hatte Angst vor der Isolation. Unser Umfeld spiegelt uns ständig wieder. Dieser Spiegel ist auf meiner Reise plötzlich zerbrochen. Was sich vielleicht nach grenzenloser Freiheit anhört, war im ersten Moment ziemlich beängstigend. Ich war damit konfrontiert, mich mehr mit mir selbst auseinander zu setzen, mich selber zu definieren und auch mir selbst zu genügen.“

"Welchen Herausforderungen bist du in Afrika begegnet?"

Nathanael: „Die größte Herausforderung war die Auseinandersetzung mit mir selbst. Man muss lernen, mit sich selbst allein zu sein. (…) Nach fast einem Jahr stand ich vor der Sahara, vor 3.000 Kilometern Wüste und wusste - das wird hart. Das Schlimmste war der Gegenwind, der dort das ganze Jahr aus dem Norden bläst. So nach einigen Wochen Gegenwind, mit 7km/h auf einer glatten Straße - das hältst du nur aus, wenn du im Kopf überzeugt bist. Ich glaube eine Reise wie diese, quer durch Afrika, entscheidet nicht die Muskelkraft oder die äußeren Einflüsse. Die Kraft, die es braucht, kommt von woanders.“

"Afrika ist ja sehr dürr. Wie war es mit dem Trinkwasser?"

Nathanael: „Ich habe auf der ganzen Reise darauf verzichtet, Wasser zu kaufen und mich nur von den lokalen Brunnen und Flüssen versorgt. Im Norden Ugandas brauchte ich über 8 Liter am Tag, nicht zuletzt wegen der Hitze, sondern auch, weil ich meine Nahrungsmittelreserven, Reis und Kartoffeln, ausschließlich mit Wasser zubereiten konnte. Das Kartoffelwasser habe ich wiederum getrunken.“

"Gab es brenzlige Situationen?"

Nathanael: „Ja, ein paar gab es schon. An der Grenze zum Kongo fuhr ich entlang einer Militärpatrouillen-Straße durch einen Nationalpark. Ich habe die Straße verlassen und bin durch den Busch gestreift, auf der Suche nach Elefanten oder Giraffen. Plötzlich war ich umzingelt von drei laufenden Büschen. Perfekt getarnte Soldaten. Als sie mich aus meinem Erkundungsmodus weckten, hatte ich große Angst. Ich konnte mir gar nicht vorstellen, was für eine immense Wirkung eine Kalaschnikow hat, wenn sie auf einen gerichtet ist. Wenn einem so eine Übermacht gegenübersteht, reagiert man vollkommen vorsichtig, eingeschüchtert und instinktiv. Ich bin nur mit viel Glück und Redekunst aus der Situation herausgekommen. Auch, weil ich immer mit ganz wenig Bargeld reise, denn darauf hatten sie es am Ende abgesehen.“

"Afrika ist geprägt von Armut, Hunger und auch leider Krieg. Wie bist du mit diesen Themen auf deinem Weg umgegangen?"

Nathanael: „Ich denke, dass unser Eindruck von Afrika von diesem Bild der Medien geprägt ist. Selber bin ich kaum mit diesen Feldern in Kontakt gekommen, obwohl ich durch belastete Gebiete gefahren bin. Natürlich gibt es Armut und viele Möglichkeiten, etwas zu verändern. Aber es gibt auch so viel mehr. Bei vielem, was die Menschen dort ausleben, könnten wir in Europa von ihnen lernen. Ich glaube die Frage ist nicht so sehr, wie wir helfen können – sondern wie leben wir auf der Welt so zusammen, dass wir uns nicht gegenseitig schaden?“

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"Was haben die Menschen dort in dir bewegt?"

Nathanael: „Ich habe viele Teile Afrikas als unglaublich ehrlich, unvoreingenommen und interessiert erlebt. Reaktionen, Handlungen und Verhalten liegen viel näher an dem, was einen Menschen vom Inneren heraus steuert. Pur und kaum aufgesetzt. (…) Auf der Reise habe ich mit jeder neuen Erfahrung ein tieferes Vertrauen entwickelt und konnte mich dem Kontinent und seinen Bewohnern mehr und mehr öffnen. Die anfängliche Skepsis, die färbte ab und kam zurück. Offenheit ist eine Körpersprache, besonders wenn man sich nur über Lächeln und Handzeichen verständigen kann. Das Schöne war, am Fahrrad den Menschen so nahe zu sein, dass ein Kontakt unvermeidlich ist und man immer schon mitten in der Begegnung ist. Das hat mir viel geschenkt und dafür bin ich sehr dankbar, denn diese Begegnungen machten die Reise unvergesslich.“

"Deine Rückkehr nach Deutschland hat dich wieder mit dem, für dich früher üblichen, Alltag und einem anderen Tempo des Lebens konfrontiert. Wie bist du darauf klar gekommen?"

Nathanael: "Meine Rückkehr war nicht einfach, denn plötzlich waren all die Dinge, die ich verlernt habe, wieder da. Das Tempo, die Erwartungen, die Zeit. Ich habe mir mehrere Monate schwer getan mich an all das zu gewöhnen und erst dann begriffen, dass ich mein Leben gar nicht so sehr anpassen muss, wie ich anfangs dachte. Heute geht es mir wieder sehr gut, in meinem eigenen Rhythmus."

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"Du hattest ursprünglich nicht vor, aus deinen Aufnahmen einen Film für die breite Öffentlichkeit zu machen. Wie ist es letztendlich zum Kinofilm gekommen? Und wie hast du das Projekt umgesetzt?"

Nathanael: "Ab dem Moment, in dem ich plötzlich alleine war, habe ich angefangen meiner Kamera von meinen Gefühlen und Eindrücken zu erzählen. Das tat mir unglaublich gut, besonders zu Beginn in der Kalahari Wüste, dem einsamsten Gebiet Afrikas. Irgendwann wurde es dann ein Hobby, neue Perspektiven und Einstellungen auszuprobieren. Die Idee aus den persönlichen Aufzeichnungen einen Film zu machen, kam über drei Jahre nach der Zeit in Afrika, als sich eine Freundin meine Festplatte ausgeliehen und einen kleinen Teaser zusammengeschnitten hatte. Das ist nun 16 Monate her und seitdem hat sich ein kleines Team zusammengefunden und wir haben aus dem Rohmaterial einen wunderbaren Film gezaubert. Es war spannend zu sehen, wie sich unser Projekt weiterentwickelt und wächst. Ans Kino habe ich sehr lange gar nicht gedacht. Es ist für uns alle ein absolutes Herzensprojekt. Allein kam ich durch Afrika, aber diesen Film hätte ich allein nicht geschafft."

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"Was wünschst du dir mit dem Film zu bewegen?"

Nathanael: "Ich war auf der Suche nach einem großen Abenteuer und das habe ich auch gefunden. Der Film erzählt von der Schönheit Afrikas, von den herzlichen und offenen Menschen, denen ich begegnet bin, und der atemberaubenden, wilden Natur. Die Geschichte veranschaulicht aber auch meine innere Reise, auf der ich lernte, mit mir allein zu sein, und meinem Ich ganz neu begegnete. Ich habe erfahren, welche Kräfte sich einem offenbaren, wenn man sich überwindet und dem Unbekannten vertraut. Meine Geschichte darf ermutigen, sich selber und dem Unbekannten zu stellen. Das Unbekannte ist ein Ort, der einen empfängt. Ein Ort, an dem man spürt und Ideen und Visionen sich frei entfalten können."

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