„Besuch von der NSDAP“ – Tatort Heidenau
Aktualisiert am 04. Februar 2019 von Daniel Bendl
Sonntagabend lernte ich die wundervollste Seite und die grässlichste Seite von Sachsen kennen. Einer abendlichen Fototour an der Bastei in der Sächsischen Schweiz folgte der Besuch in der zu trauriger Berühmtheit gelangten Kleinstadt Heidenau vor den Toren Dresdens. Meine Heimat Nürnberg war in der Vergangenheit von Rassismus geprägt wie kaum eine andere deutsche Stadt. Nachdem sich der fränkische Pegida-Ableger erfreulicherweise selbst demontiert, nutzte ich meinen Urlaub in Dresden dazu dem frisch gekürten rassistischen Zentrum der Sächsischen Schweiz mal einen Besuch abzustatten.
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Während der Durchschnittsdeutsche um kurz nach Acht wohl den Tatort im Ersten verfolgt, verwandelte sich bereits zwei Tage zuvor das Städtchen Heidenau in einen echten Tatort. Nicht gescriptet, echtes tiefbraunes von Vorurteilen und Hass geprägtes Leben. Knallkörper geworfen von Knallköpfen. Heil Hitler Rufe von Menschen, die im Geschichtsunterricht offenbar geschwänzt haben. Ich schäme mich, dass von Krieg traumatisierte Flüchtlinge von Denen in unserer Republik derart „begrüßt“ werden.
Bereits am Sonntag Morgen fuhr ich mit Frau und Kindern durch Heidenau. Rechts und links ist die den Dresdner Vorort durchschneidende B172 hauptsächlich von Gewerbeanlagen gesäumt. Ein Möbelhaus, Supermärkte, ein ehemaliger Baumarkt. Dieser ist Stein des Anstoßes für die „besorgten“ Heidenauer. Hier kanalisiert sich seit Freitag ihr Groll gegen die ersten ankommenden Flüchtlinge. Der Zaun um das Gelände der neuen Flüchtlingsunterkunft ist mit einer weissen Plane verdeckt worden. Ich hoffe inständig, dass der Sichtschutz einen Großteil der alkoholisierten krakeelenden Horde vor den Flüchtlingen verbirgt.
Mannschaftswagen der Polizei waren an den neuralgischen Punkten positioniert. Außer einem Grüppchen Anwohner auf einer kleinen Anhöhe neben der Hauptstraße schien alles ruhig an diesem Sonntag Morgen. Die schroffen „Asylkritiker" von Heidenau halten es wie die Mehrzahl der fremdenfeindlichen Bevölkerung in anderen Landesteilen: Man fühlt sich in der Dämmerung stark und versammelt sich von Alkohol und Hass vernebelt zu später Stunde um braune Willkommenskultur zu leben. Die Fragen meiner Töchter nach den Zusammenhängen von Polizeischutz und Flüchtlingen versuchte ich verständlich zu erklären, auch wenn mir jegliches Verständnis für nationalistisches Gedankengut fehlt.
Später Abend. Fasziniert vom Sonnenuntergang hinter der schroffen Felslandschaft der Sächsischen Schweiz gab ich Heidenau ins Navigationssystem ein. Ein Zwischenstopp auf dem Weg nach Dresden, der mir die Nachrichtenbilder der vorangegangenen Tage leibhaftig vor Augen führte. Mulmig beschreibt das Gefühl wohl am besten, als ich das Ortseingangsschild von Heidenau passierte. Die Polizeipräsenz wurde inzwischen vervielfacht. Zwei Wasserwerfer in der Straßenmitte. Polizisten in nachtschwarzer Einsatzuniform. So fällt es schwer „Gut und Blöd“ voneinander zu unterscheiden.
Die Ruhe des Vormittags ist inzwischen dem abendlichen Treiben sommerlicher Urlaubsdomizile gewichen. Hier handelt es sich jedoch nicht um einen Boulevard mit Meeresbrise, sondern um eine Bundesstraße mit aufgestautem Ausländerhass. Beim ersten mal durchfahre ich den Ort komplett. Eine grobe Sondierung der Lage. Schauen wo ich parken kann. Überlegen, ob ich überhaupt parken will. Wenden. Zurück an den Kern des Geschehens. An der Kreuzung vor dem ehemaligen Baumarkt links abbiegen. Ein Uniformierter tritt auf die Straße, deutet mit der Hand ein STOP an, schaltet seine Taschenlampe ein. Wo ich hin möchte? „Nach Dresden“ und verweise auf das Navi, welches genau diese Seitenstraße vorschlägt. Mitten hinein ins abgeriegelte Gebiet. Das sei jetzt „ungünstig", ich solle mir einen anderen Weg in die Landeshauptstadt suchen. Ich wende erneut und parke wenige hundert Meter entfernt in einem kleinen Weg.
Eigentlich hatte ich vor meine Kamera zu greifen und mich in Reportermanier mit kritischen Fragen an die neuen Wutbürger zu wenden. "Kritische Fragen? Scheiße, die sehen in mir womöglich einen willkommenen Vertreter der Lügenpresse, reißen die Kamera an sich und prügeln mir damit sämtlichen journalistischen Elan aus dem Kopf“ waren meine Gedanken. Die Kamera blieb im Kofferraum, das Mobiltelefon sicherheitshalber gleich mit. Auf in Richtung Flüchtlingsunterkunft. An der ersten Polizeistaffel schlenderte ich um Gelassenheit bemüht vorbei. Es waren auch andere Einzelpersonen auf den Beinen. Meist auf Gassi mit dem Hund. Einen großen kräftigen Hund wünschte ich mir just auch. Einen der mir etwas Sicherheit vermitteln könnte. Ich begegnete kleineren Gruppen. Manche hatten Kinder oder einen Kinderwagen dabei. Am nächsten Morgen würde in Sachsen das neue Schuljahr beginnen. Was zum Teufel machen die um kurz vor neun noch hier draußen?
Vereinzelte Dreier- bis Fünfergespanne bierflaschenhaltender Vertreter der kurzrasierten Klischeenazis. Wieder ein Polizist, der mich fragt wo ich hin möchte. Mit Kamera hätte ich meine journalistische Intention sicher besser verkaufen können. Da ich am Tag einer Radiomeldung entnahm, Unterstützer der Flüchtlinge werden durchgelassen, gab ich dies als offen ehrlichen Grund an. Das sei jetzt „ungünstig". Die selbe Begründung wie sein Kollege ein paar Minuten zuvor. Ist „ungünstig“ die Standardaussage sächsischer Polizisten um die Einhaltung eines Bannbereichs durchzusetzen? Ist „ungünstig“ die Umschreibung für „Wir schützen hier traumatisierte Flüchtlinge vor Nazis“? „Ungünstig“ ist wahrlich eine bescheuerte Beschreibung für einen Zustand in dem unsere freiheitlichen Grundrechte mit Füßen getreten werden. Auf die in diesem Land gern mal mit Füßen getretene Pressefreiheit wollte ich mich nicht berufen und so gab ich auf. Zumindest was diesen Punkt betraf. Davon fahren ohne ein Wort mit einem Bürger aus Heidenau gesprochen zu haben, kam nicht in Frage.
Ich stellte mich zu einem kleinen Pulk von Menschen. Man schenkte mir zunächst keine Beachtung. Ich lauschte gespannt und hörte nur die Sorgen und Ängste, die meist auch in den Medien als Ursache angeführt wird. Gespickt mit ganz klar rassistischen Zwischentönen. Dann sprach mich doch ein Herr Mitte 40 an. Wo ich herkomme? „Aus Nürnberg.“ Seine Reaktion entsetzte mich ernsthaft: „Ahh, Besuch von der NSDAP. Wir bekommen Unterstützung aus Nürnberg, der Stadt der Reichsparteitage.“ Es folgte seinerseits ein eiskalter durchdringender Blick. Wollte er mich prüfen? Kein Lächeln. Kein Grinsen. Nichts, was die Aussage relativieren würde wo es nichts zu relativieren gab. Ich hatte genug. Reaktion meinerseits unmöglich. Bis zu diesem Moment versuchte ich jedem Idiot in meinem Leben mit Toleranz zu begegnen. Vor diesem Mann, rein äußerlich keiner politischen Richtung zuzuordnen, ekelte ich mich. Abgründig. Und ich war sauer dagegen nichts tun zu können. Diese Situation und die Bilder von den rassistischen Tumulten der Vortage in Heidenau sind offenbar schlimmer als die Ausschreitungen in Rostock Lichtenhagen (22.-26.8.1992). Auf die Tage genau 23 Jahre später wiederholt sich Geschichte leider wieder. Ich werde keine Gelegenheit verstreichen lassen meinen Kindern die Zusammenhänge zu erklären.
Auf dem Rückweg zum Auto dachte ich: Es muss sie doch geben, die Heidenauer, die ihren rassistischen Mitbürgern entgegen treten. Wo sind sie? Vielleicht sitzen die um diese Zeit ja auch vor dem Fernseher und schauen Tatort.