Entdeckungsreise mit dem Gaumen der Zukunft

Aktualisiert am 04. Februar 2019 von
Kochen

Wir verbringen immer weniger Zeit am Herd. Foto: © Nicole Abalde / flickr.com (cc)

Wie viel Zeit verbringen wir mit Kochen und wie viel mit Essen? Wo findet man neue Zutaten und wie kombiniert man diese? Ist Geschmack angeboren oder kann er beeinflusst werden? Sich mit diesen Fragen zu beschäftigen kann lecker und bereichernd sein. Es ist zudem wichtig, wenn man verstehen will wohin uns unser Gaumen in Zukunft führt. Eine Entdeckungsreise.

Der Tatort: Eine Küche im Landkreis Fürth. Es ist 17:30 Uhr an einem Dienstag. Ein Mann steht in der Küche und schneidet nacheinander Karotten, Kartoffeln, Sellerie, Zwiebeln und Zucchini. Er bereitet fein säuberlich alles zu, indem er die einzelnen Zutaten mit Sesamöl in einem Wok schwenkt. Marinierte Rinderfiletstreifen werden hinzugefügt, ebenso eine Prise Salz, Pfeffer und eine ganze Chilischote. Trotz des exotischen Gerichtes ist das bemerkenswerteste an diesem Szenario nicht die asiatische Komponente, die in der Luft hängt.

Nein, es ist auch nicht besonders bemerkenswert, dass ein Mann in der Küche steht. Das außergewöhnliche an dem Ganzen ist die Tatsache, dass an einem Wochentag überhaupt noch jemand länger als eine Stunde in der Küche steht und kocht.

Wenn es nicht bereits so ist, dann ist Deutschland auf dem besten Weg ein Convenience-Land zu werden. Jedes Jahr wird weniger gekocht. Die Zahlen sind nicht von Nahrungsmittelherstellern herausgegeben. Wer auf die Webseite vom Statistischen Bundesamt geht und sich ein bisschen durchklickt, stößt irgendwann auf Studien in denen aufgezeigt wird, wie der Deutsche seine Zeit so verbringt. Die in diesen Studien erhobenen Daten belegen, dass die Zeit, die wir täglich für die Zubereitung von Mahlzeiten aufwenden, in 20 Jahren von 85 auf 40 Minuten gesunken ist.

Fastfood

Ist Deutschland auf dem Weg zum Convenience-Land? Foto: © ebruli / flickr.com (cc)

Woher kam diese Veränderung? Und was hat sie mit Food Trends zu tun? Jetzt könnte manch einer die Moralpredigt starten “Früher war doch alles besser”. Doch hier sollten wir innehalten und uns fragen: Wann stand ich denn das letzte Mal an einem Wochentag für eine Stunde oder länger in der Küche? Wann habe ich zum letzten Mal ein aufwändiges Gericht gekocht? Wer ehrlich ist wird feststellen, dass das nicht besonders häufig der Fall war.

Vieles spricht dafür weniger zu kochen: Bessere Versorgung mittags in Kantinen, längere Arbeitszeiten, das Pendeln zwischen zwei Städten und weniger Möglichkeiten am Abend einkaufen zu gehen. Doch dies ist nur die eine Seite der Medaille.

Wenn wir weniger kochen: Essen wir dann auch weniger?

Auf der anderen Seite steht das Essen. Wenn wir weniger kochen: Essen wir dann auch weniger? Die Antwort ist ein entschiedenes Nein. In der gleichen Statistik finden sich Zahlen, die anderes belegen. Die Zeit, die wir mit Essen verbringen, ist gestiegen. Von täglich 82 Minuten im Jahr 1992 auf 103 Minuten im Jahr 2013.

Es ist ein klares Bekenntnis zum Essen. Und hier werden schon die ersten Food Trends sichtbar. Die letzten Jahrzehnte markierten den Sieg von Fast Food und Convenience. Fast Food ist weit mehr als das Schnellrestaurant mit dem goldenen M. Es ist das Pizzabrötchen beim Bäcker aber auch der Thunfisch Wrap am „Grünen“ Imbissstand am Bahnhof. Wir sind von einem Überangebot an Essen umzingelt. Wer ständig dem Echo des „schnell, (gesund), lecker“ ausgesetzt ist, greift öfter zu. Convenience hat viele Facetten und ist äußerst erfolgreich. Nicht nur Fischstäbchen und Pommes aus der Tüte sind Convenience.

Auch der vorgewaschene und geschnittene Salat im Kühlregal gehört dazu. Das Sandwich, das wir uns in der Mittagspause beim Supermarkt mitnehmen, die Aufback-Brötchen am Sonntagmorgen. Alles trägt dazu bei unser Leben bequemer zu machen.

Diese Trends sind per se nicht schlecht. Sie haben sich weiterentwickelt und existieren heute in nachhaltigeren Varianten, in zucker- und fettfreier Form und in verschiedenen Größen. Doch eines steht fest: Auch wenn der eine oder andere an eine Renaissance des „Authentischen“ und „Natürlichen“ glaubt; sie werden nicht mehr verschwinden. Beide machen das Leben leichter und die Zeit, die wir mit Kochen verbringen (müssen), geringer. Sie sind Megatrends die sich an aktuelle Vorlieben anpassen und nur eine Impulsrichtung kennen: Vorwärts.

Ein neuer Geschmack

Woher aber kennt die Lebensmittelindustrie unsere Vorlieben? Sie ermittelt diese direkt anhand unseres Verhaltens und unserer Erfahrungen. Das Bewusstsein für gesunde Ernährung ist ein gutes Beispiel. Es hat grundlegende Veränderungen mit sich gebracht auf die erst reagiert werden musste. Wenn man unsereins als aktuelle Konsumenten betrachtet, stellt man noch weitere Veränderungen fest: Wir reisen mehr als unsere Eltern. Vielleicht haben wir auch ein Studium hinter uns. Wir sind mit anderem Wissen und anderen Möglichkeiten ausgestattet Wissen anzuzapfen als frühere Generationen.

Also muss man sich anpassen. Man verkauft uns Gemüsesäfte – aber bitte mit Schale, weil es so natürlicher ist – und nennt sie Smoothies. Nicht auszumalen, welche Blicke jemand geerntet hätte, der vor 30 Jahren unseren Eltern versucht hätte einen Saft aus Grünkohl zu verkaufen – als Ersatz für eine Mahlzeit!

Vor 30 Jahren ein Saft aus Grünkohl als Ersatz für eine Mahlzeit? Undenkbar!

Eine ganze Industrie ist daraus entstanden, dass wir Essen nicht mehr nur als Prozess der Nahrungsaufnahme sehen, sondern als Quelle der Unterhaltung. Die ständige physische und mediale Verfügbarkeit von Essen hat uns zu einem Volk gemacht, dass abends in Kochsendungen über Topinambur, glacierte Schalotten und Rehrücken spricht, während es tagsüber Hähnchen aus der Packung isst. Goji Beeren, geräucherter Tofu und Chia Samen; aufwendige Sous-Vide Verfahren, stundenlanges marinieren und garen, stillen unseren gegenwärtigen Appetit auf neue Geschmackserlebnisse.

Und wo finden Experten neue Zutaten und woher wissen Sie, welche Kombinationen funktionieren? Auch sie müssen dafür reisen und ausprobieren. Sie wissen, dass je mehr von uns mit einer Geschmacksrichtung in Berührung gekommen sind, umso mehr lässt sich damit ein Geschäft machen. Das bedeutet nicht, dass jeder nach Thailand gereist sein muss um ein Thaicurry zu mögen. Es ist vielmehr die Bereitschaft für Neues offen zu sein, damit jemand aus der reichhaltigen Auswahl etwas für sich selbst herauspicken kann.

Das Experiment

Es gibt ein gutes Experiment, dass Du selbst machen kannst: Probiere es mal aus: Schreibe Dir ein Land auf, in welches Du gereist bist. Jetzt schreibe ein Gericht auf, das Dir unabhängig von diesem Land in den Sinn kommt. Zu guter letzt, eine Geschmacksrichtung, die Dir unabhängig von dem Gericht oder Land zusagt. So könnte z.B. folgendes rauskommen:

  • Land: Spanien
  • Gericht: Spareribs
  • Geschmack: honigsüß
Gelbe Seiten

Spareribs kann man auch anders zubereiten. Foto: © Wally Gobetz / flickr.com (cc)

Jetzt überlegen wir uns was für Alternativen wir haben. Süß und Spareribs ist schon einmal gut. Spanien erinnert mich an Datteln im Speckmantel als Tapas. Bacon ist ein super Trend (der hier nie so groß war wie in den USA). Aber auch an den Mojo Picón von den Kanaren, eine Art Dip für alles. Dippen ist auch Trend. Das mit den Tapas kommt ebenfalls gut an, sie sind klein und handlich und werden von Frauen wie Männern gleichermaßen gern gegessen. Jetzt baue ich mein neues Gericht: Sparerib-Bacon Tapas auf Honig-Chili-Rosmarin Dip.

Statt 12 cm sind sie nur 5 cm lang und sehen aus wie kleine Vierecke. Sie sind mit einer Baconscheibe umwickelt und kross gebraten. Ich gebe einen süßpikanten goldenen Honig-Chili-Rosmarin Dip dazu, in den ich tunken kann. So einfach ist es – könnte fast trendy sein, nicht wahr? Du siehst, so bekommt man eine ungefähre Vorstellung davon, was alles möglich ist.

Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Auch Du kannst es ausprobieren! Land, Gericht und Geschmack, alle unabhängig voneinander.

Und was kommt bei Dir raus?

Und was kommt bei Dir raus? Welche tollen Gerichte könntest Du erschaffen? Schreib uns in den Kommentaren was Dir alles einfällt – vielleicht ist ja etwas Leckeres dabei!

Trends werden nicht über Nacht geboren. Sie entstehen als Sammlung des kollektiven Geschmacks, als Reaktion auf tägliche Herausforderungen und technologische Neuerungen. Sie werden begünstigt durch unsere Begeisterungsfähigkeit für neue Gewürze und unserer Bereitschaft beim Essen oder essen gehen einen Unterhaltungswert zu finden. Wenn Du das nächste Mal vor der Wahl stehst etwas zu kochen oder essen zu gehen – denke daran. Und entscheide je nach Bauchgefühl.

Essensvielfalt

Die Auswahl und die Möglichkeiten beim Essen sind sehr vielfältig. Foto: © Mark Belokopytov / flickr.com (cc)


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