Warum Nürnberg das bessere New York ist
Aktualisiert am 04. Februar 2019 von Daniel Bendl
Meine Tochter kam die Tage aus dem Kindergarten nach Hause und war völlig aufgelöst. Nachdem ich sie getröstet hatte, fragte ich nach dem Grund ihrer Traurigkeit. Es folgte eine wilde Aneinanderreihung von Namen und diverse Ausführungen für einen klassischen Streit unter vier- bis sechsjährigen Mädchen. Ich erfuhr, dass eine Freundin viel besser sei als die andere, eine Streitbeteiligte sowieso nie Freundin wird und die gestern noch beste Freundin nie wieder eines Blickes gewürdigt wird.
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Jeder der Kinder hat weiß: Dieses Verhalten ist Kindergartenalltag und gehört zur Persönlichkeitsprägung dazu. Freundschaft muss sich erst noch entwickeln und ist daher zurecht von Stimmungsschwankungen und profanen Dingen wie "Sie gibt mir nicht die Puppe, also ist sie nicht mehr meine Freundin" abhängig. Dass sich dies in den kommenden Jahren ändert, hat jeder erlebt und so kristallisieren sich im Laufe des Lebens echte Freundschaften heraus. Als vernünftige Erwachsene kämen wir nie auf die Idee Freunde miteinander zu vergleichen, ihre Stärken und Schwächen abzuwägen oder gar öffentlich über ihre Vor- und Nachteile zu urteilen. Aber mit Städten tun dies einige gern und häufig.
Hässliche Hipsterness vs. hippe Hässlichkeit
Mir liegt es fern Freundschaft und Stadt auf eine Stufe zu stellen. Das meine ich nicht. Aber immer dann, wenn Hamburg mit München, Köln mit Düsseldorf oder eben Nürnberg mit Berlin verglichen wird, muss ich unfreiwillig an streitende Kindergartenkinder denken. Zwischen "Berlin hat viel coolere Stadtviertel als Nürnberg" und "Der hat aber eine viel größere Schaufel als ich" ist in meinen Augen kein Unterschied zu erkennen. Beides ist oberflächlich. Ob Berlin "Hipsterhauptstadt" oder Nürnberg "hässlich" ist: Dies liegt immer im Auge des Betrachters oder um genau zu sein in den Erfahrungen der jeweiligen Bewohner. Mit einer anderen als der Heimatstadt kann man sich sehr schnell anfreunden. Ein Wochenend-Kurztripp oder andere Formen von Städtereisen offerieren jede Menge Versuchungen. Man freut sich darauf, hat unter Umständen sogar dafür gespart und das Wetter spielt auch noch mit. Perfekt um eine Stadt kennen zu lernen. Das funktionierte bei mir gut in Hamburg und Prag oder Amsterdam und Florenz. Immer komme ich mit Eindrücken zurück, von denen ich noch lange zehre. In Berlin habe ich sogar zwei Jahre gelebt. Und leben ist eben viel mehr als der kurze Eindruck einer Reise. Leben heißt studieren, arbeiten, Kultur erleben, einkaufen, langweilen. Eben den Alltag erleben.
Sonnenuntergang in Marzahn
Berlin ist toll. Nürnberg ist toll. Ich konstruiere da bei aller Divergenz jedoch keinen Dualismus. Es ist nebensächlich ob der Berliner Fernsehturm höher als das "Nürnberger Ei" ist. Es spielt keine Rolle, dass es in der Frankenmetropole und nicht in der "Hipsterhauptstadt" die erste fahrerlose U-Bahn gibt. Selbstverständlich gibt es in Nürnberg Straßenzüge aus den 50er Jahren, die nicht mit äußerer Schönheit glänzen. Aber Nürnberg hatte eben nicht das Glück wie Bamberg von den Bombardierungen des zweiten Weltkrieges verschont geblieben zu sein. Ein Schicksal, welches Nürnberg und Berlin eint. Genau so wie Dresden oder Dortmund. Trotz gewaltiger Kriegsschäden setzen sich in den Köpfen der vielen Nürnberg-Besucher jedoch nicht Himpfelshof, Schweinau oder St. Peter fest, sondern hinterlassen eher St. Johannis, Wöhrd oder St. Lorenz bleibende Eindrücke. Und auch in Berlin werden kaum Erinnungsfotos in Lichtenberg, Neukölln oder Wedding entstehen, sondern wird vermutlich in Tiergarten, Charlottenburg und Prenzlauer Berg die Fotoausrüstung gezückt.
Abflussrohre als Strohhalm
Wieso also werden immer wieder diese Vergleiche gezogen? Warum erfindet man Begriffe wie "Berlinification" oder "Berlinifizierung"? Was nach ansteckender Krankheit oder Rohrreiniger klingt, ist doch nichts weiter als ein Versuch auszubrechen und eigentlich doch nur weiterhin im eigenen Saft zu schmoren. Sind wir mal ehrlich: Was die Lokalpresse dankbar aufgreift und mit gebührender Aufmerksamkeit honoriert, interessiert doch schon in Erlangen niemanden mehr und in Berlin nimmt noch nicht mal jemand Notiz von solch Aktionismus. Berlin hat seine eigenen Probleme ("Arm und sexy") und sucht vermutlich eher den Anschluss im internationalen Vergleich mit London, New York & Co.
Wer vergleicht, der verliert
Ich bin gern in Berlin. Immer wieder mal. Inzwischen ist mir Nürnberg ans Herz gewachsen. Wenn ich Vergleiche ziehe, dann sind diese persönlicher Natur. Was habe ich erlebt, wie und mit wem? Es sind Erinnerungen an Menschen, an Kunst, an Kultur. Es sind kaum Eindrücke von Häuserwänden oder Hinterhöfen, die etwas vom knappen Gedächtnisspeicher abbekommen. Wenn ich an Gostenhof denke, dann kommt mir das dortige Hoftheater in den Sinn oder die tollen Cafés und Kneipen. Denke ich an den Berliner Stadtbezirk Tiergarten, leben die Töne aus der Philharmonie wieder auf. Das sind meine ganz persönlichen Städtevergleiche. Dort gibt es kein besser oder schlechter und erst recht keine Verlierer oder Gewinner.
Warum ist Nürnberg aber nun das bessere New York? Ich habe keine Ahnung. Wahrscheinlich ist es das oder auch nicht. Mit dieser Überschrift wollte ich einerseits etwas Aufmerksamkeit beim Leser erregen und andererseits auf die Absurdität von Städtevergleichen hinweisen. Genau so gut hätte ich statt New York Bielefeld nehmen können. Aber da behaupten ja einige Menschen, dass es diese Stadt gar nicht gibt ;-)