Viermal Gibitzenhof: Der Dianaplatz und seine Umgebung
Aktualisiert am 04. Februar 2019 von Sebastian Gulden
Der Dianaplatz in der Nürnberger Südstadt ist nicht nur Verkehrsknotenpunkt. Der Platz und sein Umfeld markieren auch den Kern des alten Dorfes Gibitzenhof, das sich ab dem 19. Jahrhundert zu einem Großstadtviertel mit Mietshäusern und Industrie wandelte.
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Überquert man in unseren Tagen zu Fuß, mit dem Auto, dem Fahrrad oder der Straßenbahn den Dianaplatz in Gibitzenhof, muss einem die Namensgebung schon etwas verwegen vorkommen. Nirgends scheint die stille Abgeschiedenheit des Waldes, den Diana, die römische Göttin der Jagd, so sehr liebt, ferner als hier im Verkehrsmoloch der Großstadt. Den Namen hat der Platz erst seit 1974; die von ihm nach Süden abzweigende Dianastraße gibt es schon seit dem Jahr 1900.
Vor einem Jahrhundert, als die Werkzeugmachersgattin Dina Häffner eine Mehrbildkarte mit vier Ansichten des Platzes und seiner Umgebung an ihren Neffen Hans Wolf in Burghaig bei Kulmbach schickte, ging es am Dianaplatz noch wesentlich gemächlicher zu. Hier franste Nürnberg buchstäblich aus: Zwischen Gruppen großstädtischer Mietskasernen klafften große Lücken mit Bauernhöfen und kleinen Vorstadthäuschen. Jenseits der Platzränder bildeten Lager von Gewerbebetrieben, Ackerflächen und Gärten den Übergang zwischen Stadt und Land. Der namentlich nicht überlieferte Fotograf unserer historischen Bilder aber wählte die Bildausschnitte so geschickt, dass man Gibitzenhof fast für ein Großstadtviertel mit einheitlicher Bebauung halten könnte.
Ein verschwundenes Schloss
Aber nur fast, denn der alte Herrensitz bringt ein zutiefst ländliches Moment in die Kette der hochgewachsenen Mietshäuser. Als Urkeim des alten Gibitzenhof gebührt ihm im Reigen der Sehenswürdigkeiten auf der Karte der erste Platz. Aus einem Gutshof hervorgegangen, wechselte das Anwesen im 15. Jahrhundert mehrmals die Besitzer, bis es 1455 an die ratsfähige Nürnberger Familie Löffelholz überging. Die ließen den Landsitz vor allem im 17. und 18. Jahrhundert großzügig ausbauen – unter anderem um einen neues, repräsentativeres Wohngebäude aus Sandstein – und gaben der Anlage jene Gestalt, die unsere historische Ansicht überliefert.
Die Fliegerbomben des Zweiten Weltkriegs, die das Schlösschen dem Erdboden gleichmachten, beendeten die 490 Jahre währende Regentschaft der Löffelholz. Damit teilt der Herrensitz das Schicksal anderer Nürnberger Schlösser – etwa Oberbürg oder Steinbühl – die ebenfalls dem Krieg oder der Achtlosigkeit der nachfolgenden Generation zum Opfer fielen. Ein paar, leider ziemlich verbastelte Nebengebäude und ein kümmerlicher Rest der Sandsteinumfriedung, versteckt im Hinterhof des Anwesens Meisenstraße 21, sind alles, was vom Löffelholz’schen Herrensitz geblieben ist.
Türmchen um Türmchen
Aus ästhetischen, aber sicher auch aus wirtschaftlichen Gründen wählte unser unbekannter Fotograf für die anderen Felder der Karte die schönsten Eckhäuser rund um den Dianaplatz aus – die übrigens allesamt in ihren Erdgeschossen bodenständige Wirtshäuser beherbergten. Im Arbeiterviertel Gibitzenhof waren sie städtebauliche Fixpunkte und Zentren des gesellschaftlichen Lebens zugleich.
Im Schutze spitzbehelmter Zwerchhäuser eröffnete Wirt Georg Haid um die vorletzte Jahrhundertwende die Bierwirtschaft Zum Thüringer Wald. Warum er ausgerechnet diesen Namen wählte, wissen wir nicht, doch ist es durchaus möglich, dass Haid, wie so viele seiner Nachbarn, aus der Ferne nach Nürnberg eingewandert war und eine Erinnerungen an die alte Heimat mitbrachte.
Die Zeit hat es mit seinem Haus nicht gut gemeint: Die krude Aufstockung des Dachgeschosses nach dem Zweiten Weltkrieg, bei der man die prägenden Zwerchhäuser mit ihren Spitzhelmen entsorgt hat, machte aus dem kleinbürgerlichen Schlösschen im Nürnberger Stil einen grauen Kasten, dessen reizvolle Details sich erst beim genauen Hinsehen erschließen.
Bekanntes Eck
Dem Haus auf unserem nächsten Bild, das wohl jeder kennt, der schon öfter mit der Straßenbahnlinie 4 bis zur Endhaltestelle „Gibitzenhof“ gefahren ist, widerfuhr das gleiche Schicksal. Unser Bildvergleich zeigt auch hier, warum das Gesims über dem dritten Stock so unvermittelt abbricht: Dort befand sich einst ein schmucker Muschelgiebel, den man nach dem Krieg unter dem Eindruck der Wohnungsnot zu Gunsten einer weiteren Vollgeschosses abgerissen hat, eine Erscheinung, die man überall in Nürnberg antreffen kann.
Der Giebel war so ziemlich das einzige, was vom ursprünglichen Entwurf des Architekten Gottlieb Wilfert übrig geblieben war, nachdem Johann Seyschab, der das Haus noch während der Bauarbeiten 1902 vom Vorbesitzer erworben hatte, die Pläne durch Nikolaus Maier hatte umarbeiten lassen. Aus einem Bau der Neorenaissance wurde kurzerhand ein Haus im Nürnberger Stil mit Maßwerkfenstern und Dreipassfries.
Der einstige Name der im Parterre gelegenen Gaststätte Zum neuen Kanalhafen war spätestens 1967 hinfällig: Damals schüttete man den westlich jenseits der Dianastraße gelegenen Ludwigskanal zu, um auf seiner Trasse den Frankenschnellweg anzulegen. Der Kanalhafen im Südwesten von Gostenhof war da schon lange verschwunden, wie so oft aus Gründen der Rentabilität. Tischlein deck dich, wie das deutsch-griechische Restaurant unserer Tage heißt, passt dafür umso besser zur märchenhaft-trutzigen Anmutung des monumentalen Sandsteinkolosses.
Kriegswunde
Das vierte und letzte Motiv unserer heutigen Reihe, das Anwesen Erlenstraße 1, teilt das traurige Schicksal des Herrensitzes Gibitzenhof: Das prächtige Stirnhaus, das Martin Macher 1901 für den Bauunternehmer Friedrich Schneider im Stil der Neorenaissance entwarf, musste nach Kriegsschaden einem Neubau weichen. Bei dessen Planung nahm man nicht nur die Grundform des früheren Hauses wieder auf; auch der Name der Gaststätte Wagner im Hochparterre hält die Erinnerung an den ersten Pächter, den Wirt Michael Wagner, wach.
Postskriptum
Die vier historischen Motive unserer heutigen Ausgabe stammen von einer Mehrbild-Ansichtskarte, die der Schuh- und Spezereiwarenhändler Johann Oettlein einst in seinem Laden in der Gibitzenhofstraße 175 anbot. Nicht nur wegen ihres schönen Rahmens und ihrer Beschriftung im Geiste des Jugendstils haben wir sie am Beginn des Artikels im Ganzen gezeigt.
Es handelt sich um einen Photochromdruck, der in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg seine Blüte erlebte. Zwar war das Druckverfahren sehr aufwendig, da für jede Farbe ein einzelner, mit einem Asphaltgemisch beschichteter Lithostein belichtet werden musste. Dafür erlaubte es große Auflagen, eine rasche Fertigung und vor allem: farbige Bilder!
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