Postkartenromantik pur: Das Ensemble am Henkerhaus
Aktualisiert am 04. Februar 2019 von Sebastian Gulden
Seinem martialischen Namen zum Trotz ist das Henkerhaus in der Nürnberger Altstadt Balsam für die Seelen jener, die die Zerstörung von „des Reiches Schatzkästlein“ im letzten Weltkrieg betrauern.
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Ochsenblutrotes Fachwerk, lauschige Laubengänge, trutzige Sandsteinmauern und zwei Brückenbogen, die mit ihren Spiegelbildern in den Wassern der Pegnitz der berühmten Amberger „Stadtbrille“ Konkurrenz machen – das ist der Stoff, aus dem die Träume der Nürnberg-Touristen sind, heute wie vor über einem Jahrhundert.
Die Menschen des Mittelalters und der Frühen Neuzeit haben das wohl noch etwas anders gesehen. Das Henkerhaus – bestehend aus dem gedrungenen, nach Westen abgerundeten Turm (auf dem aktuellen Foto rechts) und der langgestreckten Mauerbrücke über die Pegnitz – war nämlich die Dienstwohnung des reichsstädtischen Scharfrichters, der die Verurteilten je nach Straftat körperlich zu züchtigen oder durch Hängen, Vierteilen, Rädern, Ertränken oder Verbrennen zu exekutieren hatte. Seit 2007 unterhält der Verein Geschichte für alle in dem alten Gemäuer ein kleines, aber feines Museum, das die Besucher in die Welt des Henkers Franz Schmidt und seiner Familie entführt, die dort vor rund 400 Jahren lebten.
Neue Nutzung für alte Gemäuer
Die Bauten auf unserer Bildserie belegen, dass „Umnutzung von Bestandsimmobilien“, wie es der moderne Fachjargon nennt, ein alter Hut ist: Das Henkerhaus und der benachbarte Wasserturm am nördlichen Ufer der Pegnitz entstanden zwischen 1320 und 1325 als Teil der „vorletzten Stadtmauer“ – „vorletzte“ deshalb, weil die Forschung bis heute nicht genau weiß, wie viele Befestigungsringe die Nürnberger zuvor bereits errichtet haben. Die Form der Gebäudegruppe und die äußerst massive Ausführung ihrer Mauern aus gewaltigen Sandsteinquadern legen noch heute Zeugnis von der früheren Nutzung ab.
Mit der Fertigstellung des letzten Mauerrings verlor auch der Wasserturm seine Funktion als Wachstube. Seine unteren Geschosse dienten fortan als Kerker. Der Weinstadel, im Übrigen der größte erhaltene Fachwerkbau der Nürnberger Altstadt, wurde vermutlich zwischen 1446 und 1448 errichtet und diente unter anderem für die Speisung von Leprakranken in der Karwoche. Ab 1571 ließ der Rat der Stadt Nürnberg in dem aus Sandstein gefügten Erdgeschoss seine immensen Weinvorräte lagern. Bis ins 17. Jahrhundert war Wein – weit vor Bier – ein Grundnahrungsmittel der Nürnberger und wurde sogar im Umland angebaut, bis die Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges und der „Kleinen Eiszeit“ den Anbau unrentabel machten.
Wahnwitz der Verkehrsplanung
Eine Ironie der Geschichte ist, dass ausgerechnet die nationalsozialistische Stadtspitze, die sonst so sehr darauf bedacht war, die mittelalterlichen Bauten Nürnbergs als Szenerie für die Reichsparteitage auszuschlachten, das Henkerhaus und seine Nachbarhäuser 1940 für eine Hauptverkehrsstraße auf einem zwölf Meter hohen Hochwasserdamm abbrechen wollte. Der Zweite Weltkrieg vereitelte das wahnwitzige Vorhaben.
Während Tausende von Luftminen, Brand- und Sprengbomben der Royal Air Force die Häuserlandschaft rundum nahezu einebneten, überstanden Henkerhaus, Wasserturm und Weinstadel die Katastrophe mit vergleichsweise geringen Schäden. Dennoch bedurfte es des beherzten Eintretens des damaligen Leiters des Studentenwerks Günter Jacobi, dass die Stadt die Ruine des Stadels nicht abbrechen, sondern ihn zusammen mit dem Wasserturm als Studentenwohnheim instandsetzen ließ. Die unzähligen Biberschwänze, Fachwerkfüllungen und Fensterscheiben, die der Luftdruck der Brände und Explosionen herab- und herausgerissen hatte, waren 1950 wieder an Ort und Stelle. Nur der hölzerne Henkersteg, der zwischen Lorenzer Seite und Trödelmarkt verläuft, wurde ein Raub der Flammen. Bis 1954 erstand er in Anlehnung an die alte Form neu.
Der Mann hinter dem Bild
Wie so oft bei romantischen Sehenswürdigkeiten der Fall, war das Ensemble am Henkerhaus schon vor über 100 Jahren als Werbeträger auf Reklamemarken höchst beliebt: Neben dem Nürnberger Fremdenverkehrsverein warben die Reißzeugfabrik Adam Engelhardt und sogar auswärtige Unternehmen wie Überkinger Sprudel von der Schwäbischen Alb und die Gebrüder Hörmann aus Dresden, ihres Zeichens größte Waffelfabrikanten des Deutschen Kaiserreichs, mit der Baugruppe an der Pegnitz um die Gunst der Kunden.
Kaum ein Künstler, der am berühmten Henkerhaus vorbeikam, ohne es zu malen oder zu zeichnen: Neben dem Nürnberger Landschaftsmaler Lorenz Strauch, dem englischen Städtemaler Samuel Prout und dem Grafiker Bruno Bielefeldt konnte sich auch Lorenz Ritter (1832–1921) dem Sog des malerischen Ensembles nicht entziehen, zumal er in einer Zeit wirkte, die das Mittelalter gerne als „gute, alte Zeit“ und künstlerisches Vorbild für die Gegenwart verklärte.
Neben einer detailverliebten Radierung aquarellierte Ritter das Titelbild unseres Artikels und warf über alles eine samtige Kuscheldecke aus Neuschnee. Er wusste eben, was auch der Nürnberger Kunsthistoriker Paul Johannes Rée 1907 in seinem Handbuch „Nürnberg“ (3. Auflage, Seite 28) niederschrieb: „Wenn irgendwo, so spürt man hier die Macht, die ein altes Gemäuer über unsere Phantasie gewinnen kann. Zu einem überraschend schönen Bilde, das seinen höchsten Reiz bekommt, wenn dichter Schnee die Dächer deckt, verbinden sich diese Partien mit dem benachbarten in Fachwerk ausgeführten Giebelbau, den Türmen von St. Sebald und dem im Hintergrunde aufragenden sonnenbeglänzten Sinwellturm der Burg.“ Hoffen wir, dass auch wir dieses Jahr die Postkartenromantik am Henkerhaus in voller Winterpracht bestaunen dürfen.
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