Viele Lichtlein brennen: die Königstraße an einem Adventabend
Aktualisiert am 04. Februar 2019 von Sebastian Gulden
Ein Blick in eine Epoche, in der die „staade Zeit“ tatsächlich noch „staad“ war: Wer vor gut 120 Jahren im Advent auf der Nürnberger Königstraße flanierte, dem war der Vorweihnachtsstress unserer Tage fremd und fern.
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Wäre die mystisch-dunkelblaue Silhouette der Lorenzkirche nicht, man wähnte sich beinahe auf den Straßen des viktorianischen London unter wolkenverhangenem Himmel. Meisterhaft gelang es dem Maler unserer historischen Künstlerkarte, die Stimmung auf der Königstraße an einem nasskalten Abend im Spätherbst einzufangen.
Das war 1896, und die Behäbigkeit, mit der die Menschen im Schein des Mondes und der Laternen auf der großen Geschäftsmeile der Lorenzer Altstadt flanieren, hat so gar nichts mit dem Vorweihnachtswahnsinn unserer Tage zu tun. Die Trambahn tat der besinnlichen Stimmung keinen Abbruch, auch wenn unser Maler mit dem von Pferden gezogenen Wagen etwas romantisiert hat: Die weiße Linie zwischen Maxfeld und Hauptbahnhof war seinerzeit nämlich bereits elektrifiziert.
Respektvoller Wiederaufbau
Jene durchdringende Tranquillität, die das Bild ausstrahlt, hatte natürlich demografische Gründe: Anfang 1896 lebten in Nürnberg gerade einmal 162.433 Menschen, von denen sich nur ein Bruchteil dem Luxusproblem des „Weihnachts-Geschenke-Shoppings“ hingeben konnte. Die Zahl der Einkaufstempel war überschaubar. Erste Kaufhäuser wie Georg Leykauf an der Karolinenstraße oder Ludwig Müller in der Kaiserstraße gab es aber bereits.
Von den malerischen Fassaden und Dächern von einst sind die Lorenzkirche und der stämmige Wohnturm des Nassauer Hauses geblieben. Die zerstörten Bauten in diesem Teil der Königstraße hat man schon bald nach dem Zweiten Weltkrieg wiederaufgebaut. So kam die Straße in den Genuss einer Architektur, die sich auf die Qualitäten der alten Stadt besann, die Fassaden durch heimatlichen Sandstein und Kunst am Bau bereicherte. Der 1953 nach Plänen von Franz Reichel und Robert Vogel vollendete Kaufhof am linken Bildrand des aktuellen Fotos lieferte dagegen ordentlich Zündstoff: Seine moderne Rasterfassade entfachte eine dringend nötige Grundsatzdiskussion über den Umgang mit Nürnbergs historischer Bausubstanz und führte 1950 zur Gründung der Vereinigung der Freunde der Altstadt Nürnberg (heute Altstadtfreunde Nürnberg).
Die Fußgänger wurden übrigens schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts mehr und mehr durch das neumodische Automobil von der Königstraße auf die Trottoirs vertrieben. Wie unser kleines Bild zeigt, war die Königstraße der Nachkriegsjahre eine Hauptverkehrsstraße wie jede andere auch. Wer 1953 mit dem Auto zum Arbeiten oder Einkaufen in die Nürnberger Altstadt fuhr, hatte noch gute Chancen auf einen freien Parkplatz.
Konsum-Tohuwabohu
Heute ist der abgebildete Abschnitt der Königstraße Fußgängerzone, und auch die Trambahnlinie ist Geschichte. An ihrer Stelle tut sich seit 1981 – im wahrsten Sinne des Wortes – der Boden auf. Gerade im Advent spucken die U-Bahn-Ein- und Ausgänge an der Lorenzkirche allabendlich Zehntausende von Konsumwütigen aus, die sich dann gestresst und voller aufgestauter Aggressionen durch die Innenstadt quälen, während vor den Mauern Paketboten durch die Straßen hetzen, um den Internet-Einkäufern ihre Geschenke vor die Tür zu tragen.
Früher, das zeigt dieser Bildvergleich, war nicht alles besser – aber vieles anders. Ein wenig mehr Ruhe in der Vorweihnachtszeit, das wär’ doch was. Ein bisschen weniger Konsum, dafür ein bisschen mehr Zusammensein und Zeit für die Menschen und Dinge, die wirklich wichtig sind.
Der Mann hinter dem Bild
Schöpfer unserer historischen Karte ist der Maler Karl Mutter. 1856 im Schwarzwald geboren, finanzierte er sich mit einer Serie aquarellierter Stadtansichten, die verschiedene Verlage auf Ansichtskarten druckten, seine akademische Künstlerausbildung. Unsere Ansicht der Königstraße – sie trägt die Nummer 101 – erschien im Verlag der großherzoglich-badischen Hofkunsthandlung Johann Velten in Karlsruhe, vertrieben wurde sie aber von der Lithographischen Anstalt Ernst Nister, damals einer der renommiertesten Kunstverlage Nürnbergs.
Obwohl es Karl Mutter verstand, die Farbenpracht und Lichtstimmungen seiner Motive mit wenigen Pinselstrichen einzufangen, blieb ihm der große kommerzielle Durchbruch verwehrt. Um seine Familie zu ernähren, verdingte er sich nach dem Studium als Zeichenlehrer am Markgrafen-Gymnasium in Durlach (heute ein Stadtteil von Karlsruhe), wo er 1952 hochbetagt starb.
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