Noblesse aus zwei Epochen: Das Anwesen Marientorgraben 9
Aktualisiert am 04. Februar 2019 von Sebastian Gulden
Das Haus Marientorgraben 9 in der Nürnberger Marienvorstadt erstand 1860 und 1955 jeweils neu. Beide Male schufen seine Architekten Meisterwerke der Baukunst ihrer Zeit.
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Wer sich mit Fotografien der vorletzten Jahrhundertwende beschäftigt, stellt fest, dass Schneebilder eher rar gesät sind. Das liegt nicht etwa daran, dass die Menschen vor 100, 120 Jahren die weiße Pracht nicht zu schätzen gewusst hätten. Vielmehr waren es die technischen Beschränkungen der Fotografie, die Aufnahmen im Schnee zu einem waghalsigen Unterfangen selbst für den geübten Fotografen machten.
Als das Eckhaus Marientorgraben 9 an einem Wintertag in den 1920er Jahren fotografiert wurde, war das Ergebnis denn auch, sagen wir mal, suboptimal: die Sandsteinfassaden zu dunkel, Himmel und Straße zu hell und das ganze Motiv ziemlich unscharf. Das war auch der Absenderin klar, die auf der Vorderseite ihres Schreibens entschuldigend anmerkte: „Ich habe soeben keine andere Karte.“ Egal. Als winterlicher Gruß an Freunde und Verwandte taugte das Motiv allemal, zudem man das Wichtigste ja erkennen konnte.
1927 hatte das Haus Marientorgraben 9 schon einiges erlebt. Erbaut wurde es im Jahre 1860. Damit war eines der ersten Häuser am eben erst angelegten östlichen Teil der Ringstraße um die Nürnberger Altstadt und gewiss eines der größten der gesamten Stadt. Nur das – indessen wesentlich bescheidenere – Nachbarhaus Nr. 13, das bereits 1859 vollendet war, war noch älter. Leider kennen wir den Architekten des Gebäudes nicht, denn die frühesten Baupläne sind verschollen. Die betont symmetrische, geradlinige Grundentwurf im Geiste des Klassizismus und der eher aufgeklebt wirkende Bauschmuck in Formen der Romanik und Gotik deuten aber daraufhin, dass Baurat Bernhard Solger die Entwürfe höchstpersönlich gezeichnet hat.
Außerdem gehörte das Eckhaus ohne Zweifel zu den luxuriösesten Wohnhäusern Nürnbergs um das Jahr 1860: Auf jeder der anfangs zwei Etagen befand sich eine einzige Wohnung, an deren großzügigen Korridoren sich jeweils acht Zimmer aufreihten. Obendrauf genossen die Bewohnerinnen und Bewohner den Luxus eines privaten Badezimmers mit Toilette, während in der nahen Altstadt damals noch die meisten Menschen das gemeinschaftliche stille Örtchen im Hinterhof aufsuchen mussten.
Bauherr war übrigens Karl Grasser, Kaufmann und äußerst gewiefter Immobilienspekulant, der es fertiggebracht hatte, sich noch vor der Anlage der Marienvorstadt einen Großteil der Grundstücke zu sichern und sich mit dem anschließenden Verkauf des Landes an Bauunternehmer und geldige Häuslebauer eine goldene Nase zu verdienen.
1903 kaufte der Ledergroßhändler Carl Kromwell das Haus und ließ es von Architekt Otto Häberle aufstocken. Bei dieser Gelegenheit ließ der neue Hausherr auch gleich das Treppenhaus durch einen pompösen Neubau auf ovalem Grundriss ersetzen, den man mit Fug und Recht als Paradetreppe titulieren durfte. Später ging das Haus in den Besitz von Clara Süßheim, der Mutter des Rechtsanwalts, bayerischen Landtagsabgeordneten und Kunstsammlers Max Süßheim über.
Die Bomben des Zweiten Weltkriegs zerstörten das Palais bis auf das Erdgeschoss. Die damalige Eigentümerin versuchte, das Grundstück 1952 zu Geld zu machen. Ein Münchener Investor, der an Stelle der Ruine eine Großtankstelle errichten wollte, kassierte eine Abfuhr von der Stadt, die in dem Plan eine Gefahr für den fließenden Verkehr und das Stadtbild sah.
Schließlich machte die Nordstern Allgemeine Versicherungs AG das Rennen: 1955–1956 erbaute Architekt Franz Reichel auf dem Eckbauplatz die neue Dependance der Gesellschaft. Der hochmoderne Stahlbeton-Skelettbau mit fünf Vollgeschossen, filigranem Flugdach und einer zurückgesetzten Attika-Etage reihte sich ein in die Zeile neuer Bürohäuser, die nach dem Krieg Zug um Zug die zerstörten Villen und Mietspaläste am Marientorgraben ersetzten. Fast 100 Jahre nach der Gründung der Marienvorstadt waren das Nordstern-Haus und seine Nachbarn die Boten eines verheißungsvollen Neuanfangs, die in zeitgenössischen Bildbänden neben den geretteten Baukunstwerken der Nürnberger Altstadt stehen durften. „Lichtdurchflutete Büro- und Geschäftshäuser zeigen das vom Aufbauwillen beseelte neue Nürnberg“, schrieb der Historiker und Leiter des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg Helmut Weigel einst über sie.
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