Glanz und Gloria: Großbürgerliches Wohnen am Luitpoldhain
Aktualisiert am 04. Februar 2019 von Sebastian Gulden
Die Zeit um 1900 war die Epoche der Villen. Automobil und Nahverkehr ermöglichten das Wohnen draußen im Grünen, ohne auf die Vorzüge der Großstadt verzichten zu müssen. Beispiele der Villenkultur fanden sich einst auch gegenüber dem alten Nürnberger Tiergarten.
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So wie das Umfeld großer Stadtbahnhöfe dazu neigt, halbseidene Etablissements und finanziell weniger potente Mieterklientel anzuziehen, sind die Umgriffe zoologischer Gärten tendenziell betuchte Wohngegenden. Bei alten Zoos wie dem Tierpark Hellabrunn in München, dem Zoologischen Garten in Berlin oder Hagenbecks Tierpark in Hamburg hat das historische Gründe: Die „Geldigen“ der vorletzten Jahrhundertwende zog es dorthin, wo es grün war.
Am Nürnberger Luitpoldhain schuf die „Bayerische Landes-Jubiläumsausstellung“ 1906 die Voraussetzungen für begehrte Wohnlagen: Straßen- und Trambahnanschluss, Strom, Kanalisation und – last, but not least – kultiviertes Grün mit jeder Menge Freizeitmöglichkeiten. Neben dem Parkrestaurant an der Bayernstraße, dem Leuchtturm, den romantischen Tretboot- und Ruderfahrten auf dem Großen Dutzenteich gab es hier ein Highlight, an das sich heute fast niemand mehr erinnert: den alten Nürnberger Tiergarten. Als er 1912 seine Pforten öffnete, reihten sich an der im Westen angrenzenden Tiergartenstraße, parallel zur Münchener Straße, bereits Villen und Mietspaläste wie an einer Perlenschnur aneinander.
Illustre Bewohner
Schon kurz nach Ende der Jubiläumsausstellung hatte die Immobilien-AG Noris den Grund im Westen der Schau aufgekauft und unter der selbsterklärenden Bezeichnung „Villenquartier 1“ in nahezu gleichgroße, rechteckige Grundstücke aufgeteilt. Die Käufer der sündteuren Baugründe südlich der Nornenstraße verpflichteten sich, nur freistehende Einzel- oder Doppelhäuser mit maximal zwei Vollgeschossen zu errichten, um den villenartigen, von viel Grün durchsetzten Charakter des Viertels zu bewahren.
Schon ein flüchtiger Blick ins Adressbuch des Jahres 1912 macht klar, dass hier die Reichsten der Reichen lebten: Fast jedes Anwesen und jede Wohnung besaß einen eigenen Telefonanschluss, und das in Zeiten, in denen nur ein Bruchteil der Bevölkerung diesen Luxus genoss. Das vorne links angeschnittene Haus Tiergartenstraße 40 ließ sich der Zuckergroßhändler Franz Mayring 1910–1911 von Hans Jakober und Paul Mathys errichten. Sein Sohn Valentin Joseph gehörte später zu den bedeutendsten Kunstsammlern der Stadt. Nachbar Fritz Heinz bestellte sein Haus Nr. 38 beim selben Architekten-Team, was die ähnliche Gestaltung im Sinne des Heimatstils mit asymmetrisch gegliederten Rauputzfassaden, Erkern und Loggien erklärt.
Bankier Emil Dettling, Inhaber des Hauses Nr. 28, nahm dagegen die Dienste des bekannten Nürnberger Architekten Paul Bittorf in Anspruch. Anders als die ländlich anmutenden Nachbargebäude im Süden gerierte sich die Villa Dettling als schlossartiger, aber dennoch zierlich und familiär wirkender Bau im geometrischen Jugendstil mit von Säulen gezierter Straßenfassade und Freitreppe zum Garten.
Berühmtester Bewohner des Mietshauses Nr. 26 ganz hinten rechts war der Arzt Hans von Schuh, Sohn des Oberbürgermeisters Georg Ritter von Schuh. Das Gebäude, in dem er lebte, markierte den Übergang zwischen der Villenbebauung im Süden der Tiergartenstraße und den geschlossenen Mietshauszeilen im Norden bis zur Wodanstraße. Bauherr des luxuriösen Anwesens mit riesigen Etagenwohnungen war Emil Kirschbaum, Besitzer der Dampfziegelei Eltersdorf. Die Pläne dazu arbeitete 1911 niemand Geringerer aus als Hans Müller, Schöpfer des Deutschen Hofes am Frauentorgraben.
Im Schatten der Kongresshalle
In der Zeit des Nationalsozialismus zogen dunkle Wolken über der Tiergartenstraße auf. Der alte Tiergarten musste Hitlers gigantomanischen Plänen für das Reichsparteitagsgelände und die Kongresshalle weichen. Wo einst die Affen schrien, sollten künftig der „GröFaZ“ und seine Schranzen krakeelen. 1937–1939 schufen Heinz Schmeißner, Kurt Schneckendorf und Wilhelm Schlegtendal am Fuße des Schmausenbucks bei Mögeldorf einen neuen Tierpark, der trotz der finsteren Zeit, der er entstammt, wegen seiner Einbindung in die hügelige Landschaft und seinen innovativen Bauten als großer Wurf gelten darf.
Zur gleichen Zeit benannte man die Tiergartenstraße nach Ernst vom Rath, einem so genannten „Blutzeugen“ des Nationalsozialismus um, enteignete und vertrieb die Anwohner jüdischen Glaubens. Emil Kirschbaum etwa, der sich mit seiner Familie rechtzeitig vor der Verfolgung in Sicherheit bringen konnte, verlor sein Haus Tiergartenstraße 26 an die Deutsche Vacuum Oel AG und strengte nach dem Krieg eine Restitutionsklage an.
Neuer Name, neue Villen
Viel war da von seinem stolzen Eckhaus nicht mehr da: Ausnahmslos alle Häuser auf unserem historischen Foto wurden im Zweiten Weltkrieg ein Raub der Fliegerbomben. Beim Wiederaufbau blieben die Bauherrn dem Credo ihrer Vorgänger treu: Keine Protzbauten, sondern schlichte Eleganz mit ländlicher Note waren angesagt. Wer durch die Parsifalstraße und ihre Umgebung schlendert, findet hinter hohen Hecken und Gartenmauern noch manch interessantes Beispiel des Villenbaus der Zeit vor und nach 1945. Die Bauten auf unserer aktuellen Aufnahme hingegen fielen eher konservativ aus.
Dafür griff man bei der Wahl der neuen Bezeichnung der ehemaligen Tiergartenstraße tief in die mythologische Trickkiste: Die 1949 offiziell benannte „Parsifalstraße“ vervollständigte den Reigen der Straßen des Nibelungenviertels, die die Namen von Figuren aus den Werken Richard Wagners tragen.
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