Nobles Wohnen an der Wöhrder Wiese: Eine Villa in der Reindelstraße
Aktualisiert am 04. Februar 2019 von Boris Leuthold und Sebastian Gulden
Die Marienvorstadt war Nürnbergs erste geplante Stadterweiterung seit dem Mittelalter. Ab 1860 trat sie an die Stelle der Gärten vor der Königstormauer. Um 1900 war das „In-Viertel“ bereits dicht bebaut, die wenigen freien Grundstücke sündteuer.
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Der Ingenieur Anton Körner, Mitinhaber eines Baugeschäftes, besaß sowohl das nötige Kleingeld als auch das Know-how, um sich 1898 im Osten des neuen Stadtteils eine ansehnliche Villa nach eigenem Plan zu errichten. Für den arrivierten Unternehmer und seine Familie war die Lage ideal: die Fußwege in die Innenstadt und zum Bahnhof waren kurz, die „grüne Lunge“ im Osten der Altstadt – die Wöhrder Wiese – war nur einen Steinwurf entfernt. Gleich nebenan lag die Kunstgewerbeschule (das heutige Amtsgericht), die zu den bedeutendsten ihrer Art im Deutschen Reich zählte.
Das Eigenheim der Körners war für seine Entstehungszeit eher konservativ und erinnerte mit seinen klassizistischen Formen ein wenig an italienische Palazzi: Über einem hohen Kellersockel mit Rustika-Mauerwerk erhoben sich durch Lisenen, Fenster mit reich gegliederten Rahmungen und Gesimse aus Sandstein gegliederte Ziegelfassaden; ein flaches Walmdach schloss das Haus ab. Zusätzlich belebten fein gearbeitete dekorative Reliefs die Fronten. In den beiden Etagenwohnungen im Inneren, die jeweils um eine herrschaftliche Vorhalle angeordnet waren, ließ es sich standesgemäß wohnen und repräsentieren.
1923 richtete Architekt Albert Mayer unter dem Dach des Hauses eine „Notwohnung“ mit zwei Zimmern, Küche und Toilette ein. Dass der Wohnraum in Zeiten der Wohnungsnot dringend gebraucht wurde, interessierte die Stadt Nürnberg offenbar wenig. Und so kamen sich die damalige Eigentümerin Sophie Körner – sie war wohl eine Tochter Anton Körners – und die Stadt ordentlich in die Wolle. Da die Eigentümerin mittlerweile ins noble Partenkirchen verzogen war, beauftragte sie den Rechtsanwalt Sigmund Dormitzer damit, die Sache ins Reine zu bringen. Der Amtsschimmel wieherte in diesem Fall jedoch besonders laut, so laut, dass selbst der erfahrene Jurist schließlich die Geduld verlor. Am 9. Dezember 1924 schrieb er sichtlich enerviert: „Ich erkläre, dass ich nicht die Absicht habe, bis an mein Lebensende mich mit dieser Angelegenheit zu befassen und noch mehr Geld für die Wohnung auszugeben, die mich nichts angeht, und bitte mir jetzt endlich die Bezugsgenehmigung (für die bereits seit 1 ¼ Jahren bezogene!!) Wohnung zu erteilen.“ Das geschah denn auch, und Fahrradhändler Michael Wieser durfte weiterhin in seiner Notwohnung bleiben.
Auf den Tag genau 19 Jahre nach seinem Brandbrief an die Nürnberger Stadtverwaltung starb Sigmund Dormitzer im Konzentrationslager Theresienstadt an den Folgen der unmenschlichen Haftbedingungen. Seine Ehefrau, die bekannte Schriftstellerin Else Dormitzer und die beiden gemeinsamen Töchter Elisabeth und Hildegard überlebten die Schoa.
Die Villa der Körners ging im Bombenhagel des Zweiten Weltkrieges unter, ebenso wie fast alle anderen Bauten der stolzen Marienvorstadt. Wie so oft in den Nachkriegsjahren fiel der Neubau an gleicher Stelle wesentlich größer aus, um auf derselben Fläche mehr Wohnfläche unterzubringen. Mag man dem historistischen Eckhaus zu Recht nachtrauern; mit den seitlichen Vorschussmauern, dem Risalit und dem bekrönenden Flugdach gehört der Neubau gewiss zu den besseren Schöpfungen, die uns die Nachkriegsarchitektur in Nürnberg hinterlassen hat.
Postskriptum
Ab 1910 teilten sich die Körners ihre Villa mit dem königlichen Bankkassierer Richard Sand und seiner Frau Gustl. Die verschickte ihm Jahr ihres Einzuges unsere historische Karte an ihre Freundin Hedwig Heinke, die mit ihrem Mann, dem Chemiker und Hobbyfotografen John Heinke und den gemeinsamen Kindern Cuthbert und Heather in dem Städtchen Walkden bei Manchester lebte.
Gustl trug auf der Bildseite die Namen der beiden Straßen ein, an die ihr Haus angrenzte. Heute müsste die Beschriftung einfacher ausfallen: Die Hertelstraße – benannt nach dem Nürnberger Kaufmann und Kunstsammler Johann Jakob Hertel (1782-1851) – wurde nämlich 1965 in die Reindelstraße einbezogen, der Name verschwand aus den Stadtplänen und den Köpfen der Menschen.
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