Vorbote der Verstädterung: Das Haus Schweinauer Hauptstraße 71
Aktualisiert am 04. Februar 2019 von Sebastian Gulden
Noch vor seiner Eingemeindung nach Nürnberg entwickelte sich Schweinau Ende des 19. Jahrhunderts zu einer stadtähnlichen Großgemeinde. Steingewordener Zeuge dieses Wandels ist das Haus Schweinauer Hauptstraße 71.
Schweinau gehört zu jenen Stadtteilen Nürnbergs, die sich ihre Eigenständigkeit mehr bewahrt haben als andere. Das liegt zum einen daran, dass der Ort durch breite Verkehrsadern – die Nopitschstraße im Süden und die Bahntrassen nach Treuchtlingen und Ansbach im Osten und Westen – vom Rest der städtischen Bebauung abgeschieden ist. Zum anderen besitzt Schweinau, trotz aller Kriegszerstörungen und der Sünden der Nachkriegszeit, noch heute ein eigenes Zentrum rund um das ehemalige Rathaus an der Ecke Elisen- und Schweinauer Hauptstraße.
Zwischen alten Bauernhöfen, von denen nur ein paar wenige die Zeiten überdauert haben, entstanden schon vor der Eingemeindung nach Nürnberg 1899 die ersten Mietshäuser. Ein ganz frühes und gut erhaltenes Beispiel ist das Anwesen Schweinauer Hauptstraße 71, das 1890 vollendet war. Mit sichtlichem Stolz verewigte sich der Bauherr, der Maurermeister Georg Haun an der Südfassade des Hauses auf einem Sandsteinrelief. Haun gehörte einer alteingesessenen Handwerkerfamilie an. Von seinem Vater, der ebenfalls Georg hieß, wissen wir, dass er um die Mitte des 19. Jahrhunderts zahlreiche Baumaßnahmen an Häusern in der Nürnberger Altstadt durchführte.
Was wir mangels Einblick in die Bauakten leider nicht wissen, ist, wer das schmucke, ja villenartige Anwesen in der Schweinauer Hauptstraße dereinst geplant hat. Es ist gut möglich, dass Georg Haun junior die Pläne selbst zeichnete – nicht unüblich in einer Zeit, als Architekten zumeist nur bei besonders anspruchsvollen Projekten zu Rate gezogen wurden. Das Haus besticht durch seine harmonischen Proportionen mit hohem Kellersockel, dem reichen Fassadenschmuck mit Gesimsen, Lisenen und Fenstereinfassungen im Stil der Neorenaissance. Ihr hellbrauner Sandsteinton hebt sich wirkungsvoll von den kräftig-roten Ziegelmauern ab. Zur Straße hin betonte der Entwerfer die seitlichen Achsen der Fassade durch je einen Giebel mit riesigen seitlichen Voluten sowie Gauben mit geschweiften Helmen und dekorativen Gittern.
Leider ist die Dachlandschaft heute nicht mehr komplett: Luftdruckschäden während der Bombenangriffe des Zweiten Weltkriegs, Rost und Pragmatismus mögen dazu geführt haben, dass einige Details verloren gegangen sind. Auch die ungeteilten Fensterrahmen tragen nicht gerade positiv zum Erscheinungsbild des Hauses bei. Doch das ist Jammern auf hohem Niveau, bedenkt man, wie viel von Alt-Schweinau noch nach dem Krieg dem Modernisierungswahn und dem Ideal der „autogerechten Stadt“ zum Opfer gefallen ist. Auch der Zaun, dessen schon imperial anmutendes Tor Zugang zum Betriebsgelände des Baugeschäftes Haun gewährte, musste einer neuen Einfriedung weichen.
Um 1925 bewohnte Maurermeister Ludwig Haus mit seiner Familie das Erdgeschoss des Hauses. Das Obergeschoss und die Mansarde waren in jeweils zwei Wohnungen aufgeteilt; eine davon hatte Hauns verwitwete Mutter Anna bezogen, die übrigen waren fremdvermietet. Dort wohnten der Schreiner Deupser, der Bankbeamte Emil Wilhelm Dollinger, die Arbeiterin Friederike Zeiser, der technische Beamte Matthias Meier und der Rohrzieher Adam Walz.
Heute steht die Schweinauer Hauptstraße 71 als Einzeldenkmal unter Schutz, ebenso der Stadel mit der musikalischen Firstlinie, der auf beiden Bildern rechts im Mittelgrund zu sehen ist (Schweinauer Hauptstraße 73a). Er gehört zu den ältesten erhaltenen Gebäuden des Stadtteils und stammt, wie dendrochronologische Untersuchungen an seinen hölzernen Bauteilen ergaben, im Kern aus dem Jahre 1650.
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