Olle Schule, dolle Schule: Die beiden Schulhäuser an der Sielstraße

Aktualisiert am 04. Februar 2019 von
Albrecht-Dürer-Gymnasium

Geradezu idyllisch präsentierten sich das heutige Albrecht-Dürer-Gymnasium und seine Turnhalle um 1916. Foto: © unbekannt (cc)

In der Baukunst geht der Wandel oft rasch vonstatten, etwa im Schulhausbau um 1900. An die Stelle monotoner Kästen traten damals malerische Baugruppen. In der Sielstraße an der Nürnberger Bärenschanze kann man zwei Schulhäuser bewundern, die diesen Wandel zeigen.

Großstädtische Schulhäuser waren Ende des 19. Jahrhunderts eine ziemlich fade Angelegenheit: Meist handelte es sich um mehr oder weniger kastenartige Gebilde, in deren Eingeweiden sich Klassenzimmer an Klassenzimmer zu beiden Seiten eines Mittelflurs aufreihte. Dass diese monotone Architektur der Gesundheit und dem Lerneifer der Schülerinnen und Schüler und auch der Laune der Lehrkräfte nicht unbedingt zuträglich war, interessierte lange Zeit niemanden. Erst am Ende des Jahrhunderts, als sich fortschrittliche Pädagogen und Architekten mit dem Thema befassten und Reformen forderten, tat sich was im Schulhausbau.

Die Sielschule während ihrer Nutzung als Lazarett im Ersten Weltkrieg, aufgenommen 1916.

Die Sielschule während ihrer Nutzung als Lazarett im Ersten Weltkrieg, 1916 und 2016. Foto: © unbekannt (cc)

Würdevolle Strenge

Die Sielschule (heute Sonderpädagogisches Förderzentrum) an der Kreuzung Bärenschanz- und Sielstraße ist ein typischer, wenn auch sehr später Vertreter des klassischen Schulhauses: ein hoch aufragender Kubus mit zwei kurzen Seitenflügeln an der Hofseite, streng symmetrisch, die Fassaden durch große Fenster in immerzu gleicher Form und gleichem Rhythmus geöffnet. Der Wechsel von Sandstein und Ziegeln, die reiche Gliederung der Fassaden und der verspielte geschweifte Giebel über dem Mittelrisalit machen die Sielschule dennoch zu einem reizvollen Blickfang der Straße und verleihen dem Bauwerk eine würdevolle, schlossartige Wirkung.

Dieser konservative Schulbau ist eines der frühen Werke des städtischen Oberingenieurs Georg Kuch aus den Jahren 1891 bis 1894. Doch Kuch sollte nicht in den alten Schemata verharren. Dass er sich anzupassen wusste, hat er später vielfach bewiesen: Bis heute prägen seine für ihre Zeit hochmodernen „Schulpaläste“ – etwa die Bismarckschule in Schoppershof oder die Sperberschule in Hummelstein – das Weichbild der Nürnberger Vorstädte. Sie sind Wahrzeichen geworden, die auch der größte Schulmuffel nicht missen möchte. Am Ende seines Lebens erfand sich der findige Baumeister nochmals neu und schuf 1926 mit dem Schulhaus an der Langen Zeile eine Inkunabel der Neuen Sachlichkeit in Nürnberg.

Die Sielschule, von der Bärenschanzstraße aus gesehen, aufgenommen zwischen 1905 und 1945 und 2016.

Die Sielschule, von der Bärenschanzstraße aus gesehen, 1905/1945 und 2016. Fotos: © Peter Weber (1905/1945) – Boris Leuthold (2016) (cc)

Malerisches Ideal

Das Dürer-Gymnasium, nur ein paar Meter von der Sielschule entfernt, stammt aber nicht aus seiner Feder. Denn die frühere „Kreisoberrealschule II“ war im Gegensatz zur Mehrzahl der Nürnberger Schulen eine staatliche Lehranstalt. Den Architekten wählte das königlich-bayerische Kultusministerium anno 1911 selbst aus. Immerhin: Anders als bei der „Kreisoberrealschule I“ (dem heutigen Hans-Sachs-Gymnasium) delegierte man den Entwurf diesmal nicht an das staatliche Kreisbauamt in Ansbach, sondern beauftragte einen Nürnberger Architekten: Die Pläne schuf Otto Schulz, der zur selben Zeit die Kirche St. Michael am Sandberg auf der anderen Seite der Pegnitz errichtete.

Parallelen zwischen den Gebäuden sind unverkennbar: Beide sind als Putzbauten im neubarocken Stil ausgeführt, ihre Silhouetten wirken fast schon überzeichnet. Im Gegensatz zu der strengen Symmetrie und der etwas steifen Formensprache der Kuch’schen Sielschule setzte Schulz bei seinem 1912 eingeweihten Neubau auf malerische Gruppierung der Bauteile. Versprünge in den Fassaden und Dächern, lebhaft geschwungene Giebel und die fast schon niedlichen Dachreiter mit Zwiebelhauben passten gut zu den Idealen der Reformpädagogik – wenngleich der Alltag für die Schülerinnen und Schüler oft nicht so rosig aussah.

Das Dürer-Gymnasium, von der Reutersbrunnenstraße aus gesehen, aufgenommen zwischen 1912 und 1917 und 2016.

Das Dürer-Gymnasium, von der Reutersbrunnenstraße aus gesehen, 1912/1917 und 2016. Fotos: © Christian Dürschner (1912/1917) – Boris Leuthold (2016) (cc)

Hell und lebensbejahend

Auch im Inneren dominierten helle und freundliche Farben, Rahmenstuck zierte die gewölbten Decken der Treppenhäuser und Flure. Eine moderne Lüftungsanlage sorgte für frische Luft und geistige Fitness. Hell, lebensbejahend und die Phantasie der Schüler anregend sollten die Räumlichkeiten sein – und das sind sie, dank sensibler Renovierung und Denkmalschutz bis heute. Dennoch haben Kriegsschäden und Erweiterungen ihren Tribut gefordert: Die hübsche, mit ihren großen Bogenfenstern und ihrem Dachreiter an eine Kirche erinnernde Turnhalle gibt es nicht mehr, und auch der Schulgarten ist mittlerweile überbaut. Immerhin, des schmucken Hofportals erbarmte man sich und versetzte es beim Ausbau des Schulgebäudes einige Meter gen Norden an seinen heutigen Standort.

So stehen die Sielschule und das Dürer-Gymnasium als steinerne Zeugen des Wandels im Schulhausbau in trauter Zweisamkeit nebeneinander. Lokalkolorit – das muss man sagen – geht beiden Gebäuden ab: Während die Sielschule mit ihren klassizistischen Formen genauso in Köln, Dresden oder Hamburg stehen könnte, passt das Dürer-Gymnasium mit seinen neubarocken Fassaden besser an die Isar als an die Pegnitz.

Postskriptum

Auch der Namenspate des Gymnasiums, der große Albrecht Dürer (1471–1527), drückte einmal die Schulbank. Die Weihen höherer Bildung blieben ihm allerdings verwehrt – er besuchte nur eine Schreib- und Rechenschule, wie es zu seiner Zeit für Kinder aus Handwerkerfamilien üblich war. Seine Kenntnisse über die Kunst und Literatur der Antike eignete sich der wissbegierige Künstler selbst an, nicht zuletzt mit Hilfe seiner altphilologisch beschlagenen Freunde Willibald Pirckheimer und Konrad Celtis. Doch das ist eine andere Geschichte…

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