Fotogener Dauerbrenner: Die „Sutte“ des Heilig-Geist-Spitals
Aktualisiert am 04. Februar 2019 von Sebastian Gulden
In den letzten Wochen wurde sie wieder zehntausendfach geknipst: Die malerische Westfront des Heilig-Geist-Spitals. Sie ist nicht nur eines der beliebtesten Fotomotive Alt-Nürnbergs, sondern hat auch eine spannende Geschichte zu erzählen.
„Spital“ – das ist eines dieser Wörter, das fast jeder schon mal gehört hat, aber dessen Bedeutung kaum jemand mehr kennt. In Süddeutschland, Österreich und der Schweiz ist der Begriff heute gleichbedeutend mit „Krankenhaus“. Im Mittelalter und der Frühneuzeit aber bezeichneten die Menschen damit ein Heim für mittellose kranke oder alte Menschen, die mit Hilfe wohltätiger Stiftungen reicher Bürgerinnen und Bürger versorgt wurden. Noch heute ist in einem Teil des Nürnberger Heilig-Geist-Spitals ein Seniorenheim untergebracht.
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Das Heilig-Geist-Spital, eines der größten seiner Art überhaupt, umschließt mit seinen Bauten und der früheren Kirche sechs Innenhöfe. Gegründet im Jahre 1332 durch den Nürnberger Ratsherrn Konrad Groß, wurde das Heilig-Geist-Spital bis ins 16. Jahrhundert mehrere Male erweitert. Die frühere Spitalkirche am Hans-Sachs-Platz war ab 1424 die wohl bedeutendste Schatzkammer des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation: In ihr wurden die Reichskleinodien und die Reichsreliquien verwahrt. Während Erstere zumeist in der Sakristei hinter Schloss und Riegel lagen, befanden sich die Reliquien in einem prunkvollen Schrein, der an Ketten im Gewölbe des Kirchenlanghauses aufgehängt war. Diese eigentümliche Konstruktion konnte nicht verhindern, dass Napoleons Truppen bei der Besetzung Nürnbergs 1796 der Reliquien habhaft wurden und sie nach Wien entführten. Immerhin, den Schrein durften die Nürnberger behalten – er steht heute im Germanischen Nationalmuseum.
Obschon die Reichskleinodien nicht mehr nach Nürnberg zurückkehrten, avancierte das Spital im Laufe des 19. Jahrhunderts zu einer der beliebtesten Sehenswürdigkeiten der Stadt. Besonders die so genannte „Sutte“, die die Pegnitz zwischen der Sebalder Stadtseite und der Insel Schütt überspannt, hatte es Touristen, Künstlern und Ansichtskartenverlegern angetan. Ihr seltsamer Name leitet sich von dem alten Begriff für „Morast“ her, wohl wegen des sumpfigen Baugrundes am Flussufer, auf dem sie errichtet wurde. Die Beliebtheit der Sutte lag nicht zuletzt an der malerischen, der Museumsbrücke zugewandten Westfassade aus rotem Sandstein, die Stadtbaumeister Hans Beheim der Ältere zwischen 1511 und 1527 geschaffen hatte. Einen kleinen Schönheitsfehler hatte die Front allerdings: Der reich geschmückte Erker mit seiner trichterförmigen Konsole endete seit einem Teilabbruch auf Höhe des ersten Obergeschosses einigermaßen abrupt und wurde von einem schnöden Altan abgeschlossen.
Für die nationalsozialistische Stadtspitze um Oberbürgermeister Willy Liebel war der eigentümliche Erker ein gefundenes Fressen. In seiner Unvollkommenheit passte er so gar nicht in das geschichtsklitternde Bild der „deutschesten der deutschen Städte“. Und so schwappte die Woge der pseudomittelalterlichen Stadtbildkosmetik über das Spital hinweg. Als 1939 die Gerüste fielen, hatte die Schaufassade auf einmal ein zusätzliches Geschoss im ersten Stock und ein Bekrönung aus Sichtfachwerk mit Spitzhelm. Tatsächlich hatten die Kartografen Hieronymus Braun und Hans Bien im 17. Jahrhundert auf ihren Stadtplänen einen solchen Erkerturm dargestellt. Allerdings waren ihre Zeichnungen so winzig und stilisiert, dass der von Julius Lincke geplante Neuaufbau kaum als „Rekonstruktion“ durchgehen kann – eher schon als sehr freie Interpretation. Der NS-Jargon erfand dafür den Ausdruck „schöpferische Denkmalpflege“.
Lange hielt die neue Schöpfung indessen nicht: Am 2. Januar 1945 zerstörten britische Brand- und Sprengbomben das Heilig-Geist-Spital und mit ihm die oberen Teile des Erkers. Von dem pittoresken Flügel über der Pegnitz standen immerhin noch die Außenmauern, während der Bauteil an der Spitalgasse, die Kirche und die Heilig-Grab-Kapelle fast völlig vernichtet worden waren.
Der Wiederaufbau des Spitals zog sich hin wie Kaugummi: Erst 1962 konnte der Komplex wieder seiner Bestimmung übergeben werden. Und siehe da: Die Erker-Lösung der Nazizeit feierte ein Comeback! Was manchem als schlechter Witz erscheinen mag, hatte gute Gründe: Auch nach den schweren Kriegsschäden waren weite Teile des neuen Erkerobergeschosses erhalten geblieben, die einen Wiederaufbau in der Form der 1930er Jahre rechtfertigten. Und dann hatten sich Einheimische und Touristen mittlerweile so an den Erker mit Spitzhelm gewöhnt, dass ein Rückbau auf den älteren Zustand gewiss einen Sturm der Entrüstung ausgelöst hätte. Dass Julius Lincke, der 1939 den neuen Erker geschaffen hatte, auch die Leitung über den Wiederaufbau des Spitals innehatte, ist ebenfalls nicht ungewöhnlich: Nicht wenige Architekten der NS-Zeit, auch die politisch schwer belasteten, fanden sich nach 1945 rasch wieder in ihren früheren Stellungen.
So steht die Sutte des Nürnberger Heilig-Geist-Spitals heute nicht nur als Monument der spätgotischen Baukunst, sondern auch als Zeugnis der „schöpferischen Denkmalpflege“ der NS-Zeit. Die meisten Touristen und selbst viele Einheimische ahnen davon nichts, wenn sie ihre Selfies vor der malerischen Kulisse schießen oder sich im Wirtshaus Heilig-Geist-Spital über der Pegnitz Rostbratwürste im Zinnherzerl schmecken lassen.