Wintertraum aus Schnee und Sandstein: Das Haus Spittlertorgraben 35
Aktualisiert am 04. Februar 2019 von Sebastian Gulden
Bis zum Zweiten Weltkrieg waren prächtige Vorstadthäuser mit Sandsteinfassaden und Vorgärten in Nürnberg ein vertrauter Anblick. Sie vermittelten weltstädtisches Flair, städtebauliche Großzügigkeit und heimelige Stimmung zugleich.
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Es gehört zu den ikonischen Motiven des US-amerikanischen Weihnachtsfilms: das „Brownstone“, das Stadthaus mit Sandsteinfassade, in dessen verschneitem Vorgarten sich mehr oder minder geschmackvolle Deko-Nikoläuse und -Rentiere tummeln. Da wird einem gleich ganz warm und weihnachtlich ums Herz! Nun ist Nürnberg nicht New York City, und dennoch haben die Stadt an der Pegnitz und die Metropole am Hudson sowohl den Sandstein als Baumaterial als auch die Tradition des beschaulichen Stadthauses mit Vorgarten gemeinsam.
Schon bald nach dem Ausbau des Spittlertorgrabens sicherten sich August Hohwald und seine Ehefrau Johanna, geborene Drechsel, um 1860 mehrere sonnenverwöhnte Grundstücke mit Blick auf die Prateranlage. Die Lorenzer Altstadt, damals wie heute Geschäftszentrum des aufstrebenden Nürnbergs, lag nur einen Katzensprung entfernt. Hohwald war als Inhaber einer Möbelfabrik in Fürth zu solchem Wohlstand gelangt, dass er sich schon bald nach dem Kauf als Privatier aufs Altenteil zurückziehen konnte. Seine Wohnung nahm er im Anwesen Spittlertorgraben 39, das Maurermeister Wolfgang Lunz 1861 errichtet hatte.
Auf dem Nachbargrundstück Spittlertorgraben 35 ließen die Hohwalds im selben Jahr ein dreistöckiges Mietshaus mit Hofraum und Rückgebäude errichten. Seine Außengestaltung atmete den Geist des späten Klassizismus: streng symmetrisch angeordnete Fensterachsen, schlichter, an der Beletage im ersten Stock etwas reicherer Bauschmuck mit Lisenen und einem Konsolgesims unter der Dachtraufe. Vor der Sandsteinfassade dehnte sich ein etwa drei Meter tiefer Vorgarten mit Pfeilerzaun aus. Er sorgte nicht nur für ein bisschen mehr Grün und Platz für einen aufgeständerten Südbalkon, sondern verlieh der Bebauung gegenüber der Prateranlage auch eine gewisse Weite und Luftigkeit, die den engen Quartieren der benachbarten Altstadt abgingen. Diese Gestaltung entsprach vollauf den Vorgaben der Stadtverwaltung, die nahezu überall in den neuen Vorstädten breite Vorgartensäume in der Baulinienplanung festschrieb.
Schon 1863 ließen die Hohwalds durch das Bautechnische Bureau Adam Paul, das wohl auch das Vorderhaus entworfen hatte, einen weiteren Rückflügel ansetzen. Wie die meisten Vorstadtanwesen war das Haus Spittlertorgraben 35 nicht allein dem Wohnen vorbehalten: Als die hier ansässige Metallspielwarenfabrik Deuerlein 1920 zusätzliche Werkstatträume benötigte, errichtete Maurermeister Georg Schenk im Hof eine Halle aus Fachwerk, die schon 1922 durch ein Lagerhaus mit Garage ersetzt wurde.
Platznot herrschte auch beim Nachbarn im Haus Spittlertorgraben 39, der Buttersiederei & Margarinefabrik Gebrüder Dessauer, weiland bekannt für sein geläutertes Rinderfett („Renin“) und diverse Stinkekäse (Romadur, Limburger). In den 1920er und 1930er Jahren dehnte sich das Werk fast auf alle Gebäude an der Nordseite der Prateranlage aus, auch auf das Anwesen Nr. 35. 1928 bauten Hans Müller und sein Schwiegersohn Karl Kröck – sie sind unter anderem Schöpfer des Karl-Bröger-Hauses – das alte Rückgebäude von 1861 für die Zwecke der Fabrik um. 1939 plante der Architekt Paul Berthold aus Dambach eine Überbauung der Durchfahrt zwischen den Häusern Spittlertorgraben 35 und 39, die fortan das Treppenhaus der Nr. 35 enthalten sollte.
Zu diesem Zeitpunkt war das Unternehmen der Dessauers bereits in andere Hände übergegangen und firmierte unter der Bezeichnung Fränkische Margarinefabrik. Dieser „Übergang“ war allerdings alles andere als sauber über die Bühne gegangen: Im Zuge der „Arisierung“, durch die die Nationalsozialisten jüdische Gewerbetreibende entrechteten und enteigneten, hatten sich Stefan Winter und Wolfgang Brügel das florierende Unternehmen für einen Apfel und ein Ei unter den Nagel gerissen. Die Quittung bekamen sie nach Kriegsende, als die rechtmäßigen Eigentümer, die Erben des Vorbesitzers Alfred Kohn, sie auf Restitution verklagten.
Die Fabrikanlagen waren damals allerdings nur noch ein Trümmerhaufen. Im Zweiten Weltkrieg hatten britische Fliegerbomben die Häuser und Werksanlagen an der Nordseite der Prateranlage vernichtet, auch das klassizistische Wohnhaus Spittlertorgraben 35. Nach dem Krieg ersetzte eine moderne Wohnanlage die Anwesen Spittlertorgraben 31-35 und Praterstraße 25. Mit ihren Balkonfronten, den Flugdächern, den filigranen Einbauten und der kleinen Grünanlage an der Ecke Praterstraße eifert sie den Vorbildern des 19. Jahrhunderts nach. Der schnuckelige, herzerwärmende Anblick von einst aber ist Vergangenheit. Auch noch so viel weiße Pracht und überschwängliche Weihnachtsdeko werden daran nichts ändern können.