Frau Höflers neue Kleider: Ein Eckhaus im Rennweg
Aktualisiert am 04. Februar 2019 von Sebastian Gulden
Um 1900, als noch niemand an Internethandel und Shopping Malls dachte, war der kleine Laden um die Ecke ein vertrauter Anblick. Ein besonders hübsches Exemplar dieser aussterbenden Spezies stand im Nürnberger Stadtteil Rennweg.
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In Zeiten gigantischer Einkaufszentren und dekadenten Home Shoppings scheint die Zeit jener kleinen Lädchen abgelaufen, die es um die vorletzte Jahrhundertwende noch in nahezu jeder Straße Nürnbergs gab. Allein die Fachgeschäfte, eben jene, die etwas bieten, für das man den ein oder anderen Umweg auf sich nimmt, scheinen da eine Chance zu haben. So war das auch mit der Weiß- und Wollwarenhandlung, die Elise Höfler anno 1893 an der Ecke Werderstraße und Martin-Richter-Straße begründete.
Das prächtige Eckhaus mit seinen Balkonen und dem Giebel mit bekrönenden Obelisken im Stil der Neorenaissance war damals nigelnagelneu: Bauunternehmer Adam Winkelmann hatte 1887 die Chance beim Schopf gepackt und sich das Grundstück Werderstraße 1 gesichert, um dort im Jahr darauf ein Wohn- und Geschäftshaus zu errichten. Die Pläne ließ er von Architekt Albin Kupfer zeichnen. Die Ortschaft Rennweg, 1865 nach Nürnberg eingemeindet, gehörte im Zeitalter der Industrialisierung zu den Boom-Vierteln der Frankenmetropole. Hier gab es zahllose große und kleine Industriebetriebe, bei denen Tausende Menschen in Lohn und Brot standen.
Bedürfnisse wecken
War die Bevölkerung in puncto Einkommen und Bildungsstand auch bunt gemischt, mit praktischen und lebensnotwendigen Erzeugnissen ließ sich hier doch am besten Kasse machen. Das wusste auch die geschäftstüchtige Elise Höfler. Sie bot an, was immer gebraucht und gekauft wurde: Unterwäsche für jung und alt, maßgeschneidert! Sie selbst lebte mit ihrer Familie in einer großzügigen Wohnung in der „Beletage“ des Hauses, direkt über dem Laden.
Getreu dem merkantilen Leitsatz „Bedürfnisse wecken statt nur Bedarf decken“ verpasste Baumeister Georg Philipp Höfler, wohl ein Verwandter der Ladeninhaberin, der Fassade an der Martin-Richter-Straße 1898 ein größeres Schaufenster. Und ein paar Jahre später, nämlich 1913, hielten die verkaufsfördernden Schaufensterfronten, einst sündhaft teures Privileg der Konsumtempel in den Innenstädten, Einzug bei den Höflers: Nahezu das ganze Erdgeschoss wurde nach Plänen von Georg Hoffmann mit Glaswänden versehen, lediglich unterbrochen von kurzen Mauerstücken und filigranen Rahmen aus Eisen.
Spuren des Krieges
Das schmucke Eckhaus ging im Bombenkrieg des Zweiten Weltkriegs unter, und mit ihm ein Großteil des alten Rennwegs. Die Wunden des Kriegs sind noch heute rund um die Werderstraße 1 unübersehbar. Ein besonderes Kuriosum stellt das Haus Martin-Richter-Straße 26 direkt gegenüber dar, das noch heute die Spuren des Krieges und der provisorischen Instandsetzung unverhohlen zeigt. Als sich Deutschland vom Krieg erholt hatte, ging das Zerstörungswerk weiter: Manch Fassade wurde „bereinigt“ und mit praktischen, aber hässlichen Fliesen und anderem Schnickschnack aus dem Baumarkt versaubeutelt. Ein bekanntes Nürnberger Wohnungsbauunternehmen brach 2017 das gut erhaltene Sandsteinhaus Nr. 25 (Baujahr 1898) ab, um kräftig nachzuverdichten.
Der Kaufmann und Handelsvertreter Karl Schweiger ließ die Werderstraße 1, von der nach den Luftangriffen nur noch ein paar Mauerreste des Erdgeschosses und die völlig verbogenen Reste der Schaufensterrahmen standen, in zeitgenössischer Form wiederaufbauen. Statt Balkon und Giebel erhielt der Neubau die architektonischen Statussymbole der Wirtschaftswunderzeit: ein vorspringendes Dach, schlichte Fassaden und große Panoramafenster für die Wohnräume. Den Höfler’schen Laden, der nach 1945 fortbestand, gibt es heute nicht mehr. An seine Stelle ist ein Getränkemarkt getreten – auch eines jener wenigen Fachgeschäfte, die man zumeist noch persönlich aufsucht.
Marketing anno 1930
Unser historisches Foto stammt übrigens aus dem „Buch der alten Firmen der Stadt Nürnberg“, das der Leipziger Jubiläums-Verlag von Walter Gerlach 1930 herausgab und das auch für andere Städte Deutschlands, etwa für Augsburg und Hannover, aufgelegt wurde. Es bot lokalen Wirtschaftsunternehmen aller Sparten die Möglichkeit, sich selbst und ihre Produkte zu präsentieren – gegen einen Obolus, versteht sich. Was einst in erster Linie als hochwertige Marketing-Maßnahme gedacht war, ist heute eine wichtige Quelle deutscher und Nürnberger Firmengeschichte.
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