Entsorgte Architektur: Die beiden Paketpostämter am Hauptbahnhof
Aktualisiert am 12. Juni 2017 von Boris Leuthold und Sebastian Gulden
Viele kennen es noch, das Paketpostamt an der Nürnberger Bahnhofstraße. Wo sich heute Hotel an Hotel reiht, stand bis 2002 ein herausragendes Zeugnis der NS-Architektur. Sein Vorgänger nebenan musste für ein Parkhaus weichen.
Einst revolutionierte die Eisenbahn die Welt. Nicht nur Menschen, auch Güter konnten nun um ein Vielfaches schneller von A nach B transportiert werden, als dies zuvor mit Schiffen, Pferden und Fuhrwerken möglich gewesen war. Manch älteres Semester erinnert sich vielleicht noch an die Zeiten, da die flotte Bahnpost Briefe und Pakete binnen eines Tages zum Empfänger brachte, und der Postmann täglich zweimal klingelte.
Auch der 1847 eröffnete Nürnberger „Centralbahnhof“ (der heutige Hauptbahnhof) wurde in den 1880er Jahren um einen gesonderten Paketverladebahnhof im Stil der Neorenaissance erweitert (Bahnhofsplatz 5), wo die Postbediensteten unablässig Sendungen aus- und einluden. Zu Fuß, mit Handkarren, per Fahrrad und spätestens seit den 1920ern auch per Elektrowagen brachten die Zusteller die Päckchen und Pakete zu den Adressaten.
Trutzburg im Sinne des Regimes
Mit dem Wachstum der Stadt wurde der Verladebahnhof schließlich zu klein. Da traf es sich, dass der Milchhof, ganz in der Nähe des bisherigen Paketpostamts östlich des Allersberger Tunnels an der Bahnhofstraße gelegen, im Jahr 1930 in die Tullnau umgezogen war. Nach Plänen von Johann Kohl, Walter Kerb, Wilhelm Erhard und Friedrich Deyerl wurde zwischen 1934 und 1939 an seiner Statt der neue Postverladebahnhof errichtet. Als altgedienter Architekt im Dienste der Reichspost hatte Oberpostbaurat Kohl in Nürnberg bereits einige Großprojekte umgesetzt, die das Stadtbild noch heute prägen, etwa das Selbstanschlußamt West an der Rothenburger Straße, das Postscheckamt am Laufertorgraben und den Kopfbau der Hauptpost am Bahnhofsplatz.
Anders als bei der Hauptpost, wo man Kohls Planung im Stil der Neuen Sachlichkeit von fremder Hand hatte umarbeiten lassen, wählte er beim neuen Paketpostamt von Beginn an Bauformen, die dem Repräsentationsbedürfnis der Nationalsozialisten entgegenkamen. Mit seinen gewaltigen Ausmaßen, seinen trutzigen, mit Travertinplatten verkleideten Fassaden, den riesigen Fensterachsen mit segmentbogigen Abschlüssen und den von der Antike inspirierten Konsolgesimsen unter den flachen Walmdächern war der Komplex ein beredtes Zeugnis für die funktionale Richtung der nationalsozialistischen Architektur. Um den Neubau mit dem Briefpostamt auf der gegenüberliegenden Seite der Allersberger Straße zu verbinden, setzte man eine überdachte Güter- und Fußgängerbrücke vor die Unterführung. Dass dabei die kunstvolle Jugendstil-Brüstung schwer in Mitleidenschaft gezogen wurde, interessierte in den 1930er Jahren kaum.
Das Ende einer Ära
Anders als das alte Paketpostamt direkt neben dem Hauptbahnhof überstand die Trutzburg an der Bahnhofstraße die Bombardements des Zweiten Weltkriegs. Nach 1945 ging der Betrieb wie gehabt weiter. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter richteten sich in dem Komplex häuslich ein und hatten sogar eine eigene Kegelbahn für gesellige Zusammenkünfte in den Pausen und nach Feierabend. An Stelle des alten Postamts errichtete die Bahn ein Parkhaus, das nicht eben dazu beitrug, das Umfeld des Bahnhofs zu verschönern.
Irgendwann aber, da wurde auch der neue Verladebahnhof nicht mehr gebraucht, und mit den geselligen Kegelabenden war es vorbei. Nachdem die Deutsche Bundespost in den 1990er Jahren ihren Pakettransport völlig auf die Straße verlagert hatte, stand das alte Postamt verlassen herum und wartete auf bessere Zeiten – die nicht kamen.
Eilig entsorgt
Dass es den imposanten Zweckbau heute nicht mehr gibt, ist dem vollmundigen Versprechen eines Investors zu verdanken, der an der Stelle des neuen Paketpostamts ein „Erlebnis-Sportkaufhaus“ in die Höhe ziehen wollte. Ob solch rosiger Aussichten ließ man das historische Gebäude 2002 unter heftigen Protesten eilends wegreißen, nur um dann zu erfahren, dass das Kaufhausprojekt nicht mehr war als eine Seifenblase.
Ein weiteres wertvolles und gewiss auch sinnvoll nutzbares Zeugnis der Architektur des Nationalsozialismus war damit aus dem Stadtbild verschwunden. So lag das abgeräumte Gelände jahrelang brach. Die wuchernde Vegetation konnte nicht verhindern, dass Nürnberg ganz nah am Herzen eine weitere, rasch zugemüllte städtebauliche Wunde zugefügt wurde.
Hotelmeile Bahnhofstraße
Erst im Jahr 2013 rollten die Bagger an, um die schmerzhafte Lücke zu schließen; zuvor war bereits am östlichen Ende des Grundstücks des früheren Paketpostamts eine Herberge der günstigen Preisklasse errichtet worden. Bis 2015 entstand dann auf dem größeren Westteil des Geländes nach Plänen des Nürnberger Büros bickelarchitekten ein Hotel unter dem etwas prätentiös anmutenden Namen „Novotel Centre Ville“.
Architektonisch gehört der Neubau gewiss zu den besseren Leistungen an der Bahnhofstraße, die von einigen bemerkenswerten Bauten der Jahrhundertwende und der frühen Nachkriegszeit abgesehen bestenfalls mit baukünstlerischem Mittelmaß aufwarten kann. Die Planer griffen die Höhe und die Rundung der Fassade des gegenüberliegenden Postgebäudes (des so genannten „Rundbaus“) von 1924 auf und verliehen dem Neubau eine mit Granitplatten verkleidete Sockelzone, wie man sie seit der Renaissance kennt. Sie gliedert das Gebäude und nimmt ihm zusammen mit dem zurückgesetzten Attikageschoss auf dem Dach seine blockhafte Wirkung.
2017 soll nun auch der Umbau des oben erwähnten historischen Rundbaus gegenüber beginnen, der nach dem Willen des Investors ebenfalls ein Hotel beherbergen wird. Es bleibt zu hoffen, dass sich dieses Projekt nicht wie dereinst das „Erlebnis-Sportkaufhaus“ als Rohrkrepierer erweist, dem ein unersetzliches Stück Nürnberger Architekturgeschichte geopfert wird.
Andere Vorher-Nachher-Bildfolgen von Stadtbild im Wandel
Fotogener Dauerbrenner: Die „Sutte“ des Heilig-Geist-Spitals
Wintertraum aus Schnee und Sandstein: Das Haus Spittlertorgraben 35