Mit 64 Jahren fängt das Leben an: Das Plärrerhochhaus
Aktualisiert am 27. Dezember 2016 von Sebastian Gulden und Stefan Schwach
Was für den New Yorker das Empire State Building, ist für den Nürnberger das Plärrerhochhaus. Übertrieben? Nicht doch – denn Nürnberg kann durchaus stolz sein auf seinen liebsten „Wolkenkratzer“.
Die große Enttäuschung gleich vorweg: Das Plärrerhochhaus war nicht Nürnbergs erstes Hochhaus. Diese Ehre gebührt dem Karl-Bröger-Haus, das 1930 von Hans Müller und Karl Kröck für den Verlag Fränkischer Kurier errichtet wurde. Und an die 163 Meter Höhe des Business Towers an der Ostendstraße kommt es mit mageren 56 Metern nicht ansatzweise heran. Wenn schon nicht in puncto Alter und Höhe, so kann es das Plärrerhochhaus aber auf jeden Fall an Bekanntheit mit seinen Konkurrenten aufnehmen.
„Bekannt“ und „beliebt“, das sind naturgemäß zwei verschiedene Paar Stiefel. Wie beim Bau des Plärrerhochhauses 1951 bis 1953 scheiden sich auch heute noch die Geister darüber, ob es nun eine Zierde für Nürnberg ist oder nicht. Nicht wenige trauern dem Ludwigsbahnhof, einst Ausgangspunkt der ersten öffentlichen Eisenbahnfahrt auf dem europäischen Festland, nach. Er musste für den Hochhausbau abgerissen werden.
Bauherrin von Nürnbergs neuer Landmarke war die Energie- und Wasserversorgungs-Aktiengesellschaft (EWAG), die heute unter dem Namen N-ERGIE firmiert. Die Pläne zeichnete Wilhelm Schlegtendal. Der Architekt hatte an eben jener Stelle in den 1930er Jahren im Auftrag der nationalsozialistischen Stadtverwaltung ein monströses „Gau-Forum“ geplant, das jedoch nie gebaut wurde. Im Gegensatz zum klobigen Neoklassizismus dieses Entwurfs zeichnet sich das Hochhaus durch klare Linien, feingliedrige Stützen und Fassadengliederung aus. Die Fronten des Hauses sind als moderne Vorhangfassaden ausgeführt. Eine freitragende, geschwungene Haupttreppe, die wirkt, als ob sie schwebe, bestimmt die große Eingangshalle.
Daneben erschloss ein Paternoster-Aufzug die 15 Etagen. Früher, da das Plärrerhochhaus noch recht problemlos zugänglich war, war es vielen Nürnberger Kindern und Jugendlichen der größte Spaß, mit dem Paternoster herauf- und herunterzufahren. Er wurde 1976 aufgrund neuer Sicherheitsbestimmungen und aus Gründen des Brandschutzes zugunsten zweier Aufzüge entfernt. Ursprünglich konnte man nach Einbruch der Dunkelheit das „Hochhaus“, wie es von den Nürnbergern genannt wird, mit Lichtinstallation bewundern. Die Fenster wechselten mit der Beleuchtung ab, teilweise waren alle Fenster hell erleuchtet, teilweise nur einige. Der Lichtmast am Dach war in das Lichtspiel einbezogen. Hinter dem Mast verbarg sich ursprünglich ein UKW-Sender für die EWAG-Fahrzeuge und den VAG-Fuhrpark, seinerzeit ein Novum.
An der Spitze des Gebäude plante Architekt Schlegtendal ein zurückgesetztes Attikageschoss mit typischem Flugdach und einer großzügigen Dachterrasse. Von hier genießt man einen phänomenalen Rundumblick auf Nürnberg. Im Attikageschoss bestand lange Zeit eine Teestube, in der die Nürnberger Oberbürgermeister ihre Ehrengäste zu empfangen pflegten. 1960 etwa waren hier der kürzlich verstorbene thailändische König Bhumibol und Bundespräsident Heinrich Lübke zu Gast. Später wurden Terrasse und Teestube für die Öffentlichkeit geschlossen. Der traurige Hintergrund: Mehrere Menschen hatten sich von dort in den Tod gestürzt.
Anlässlich seines 64. Geburtstages 2017 soll Nürnbergs bekanntestes Hochhaus, das seit 1988 unter Denkmalschutz steht, für 50 Millionen Euro aufwendig saniert werden. Es bleibt zu hoffen, dass der Charme und die Ausstattung der Wirtschaftswunderzeit dabei erhalten bleiben. Nürnberg hat in den letzten drei Jahrzehnten viele gerade der besonders gelungenen Bauten aus der Zeit des Wiederaufbaus verloren. Möge dem Plärrerhochhaus also ein besseres Schicksal beschieden sein, auf dass es auch weiterhin ein schillerndes Wahrzeichen Nürnbergs bleibe.
Was das Bild noch erzählt
Unser historisches Foto versprüht die Aufbruchstimmung und den Fortschrittsglauben der Wirtschaftswunderjahre. Die Straßenbahnen und der „Plärrer-Automat“ als Boten der Motorisierung und Automatisierung setzen Akzente vor dem Weichbild des modernen Hochhauses. Die Menschen werden an jenem 18. Februar 1956 indessen wenig dynamisch unterwegs gewesen sein. Bei eisigen Rekordtemperaturen von -28° C kein Wunder!
Der Plärrer wurde nach dem Zweiten Weltkrieg fast alle zehn Jahre komplett umgestaltet. Schöner wurde er damit leider nicht. Auch den oben erwähnten Plärrer-Automaten – so benannt wegen des automatischen Postamtes (Selbstwählfernsprechzellen und Briefmarkenautomaten) in seinem Inneren – gibt es nicht mehr. Der filigrane Bau aus Stahl und Glas, ein Meisterwerk der Neuen Sachlichkei, erbaut 1928 bis 1929 von Baurat Walter Brugmann, fiel 1977 dem Bau des U-Bahnzugangs zum Opfer, nachdem er schon in den Wirtschaftswunderjahren verkürzt worden war.
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