Mit 64 Jahren fängt das Leben an: Das Plärrerhochhaus

Aktualisiert am 27. Dezember 2016 von und Stefan Schwach
Plärrerhochhaus

Vom Plärrer hinaus in die Welt, 1953/1960. Foto: © Verlag Peter Nagel

Was für den New Yorker das Empire State Building, ist für den Nürnberger das Plärrerhochhaus. Übertrieben? Nicht doch – denn Nürnberg kann durchaus stolz sein auf seinen liebsten „Wolkenkratzer“.

Die große Enttäuschung gleich vorweg: Das Plärrerhochhaus war nicht Nürnbergs erstes Hochhaus. Diese Ehre gebührt dem Karl-Bröger-Haus, das 1930 von Hans Müller und Karl Kröck für den Verlag Fränkischer Kurier errichtet wurde. Und an die 163 Meter Höhe des Business Towers an der Ostendstraße kommt es mit mageren 56 Metern nicht ansatzweise heran. Wenn schon nicht in puncto Alter und Höhe, so kann es das Plärrerhochhaus aber auf jeden Fall an Bekanntheit mit seinen Konkurrenten aufnehmen.

„Bekannt“ und „beliebt“, das sind naturgemäß zwei verschiedene Paar Stiefel. Wie beim Bau des Plärrerhochhauses 1951 bis 1953 scheiden sich auch heute noch die Geister darüber, ob es nun eine Zierde für Nürnberg ist oder nicht. Nicht wenige trauern dem Ludwigsbahnhof, einst Ausgangspunkt der ersten öffentlichen Eisenbahnfahrt auf dem europäischen Festland, nach. Er musste für den Hochhausbau abgerissen werden.

Das Plärrerhochhaus, vom Plärrer aus gesehen, 1956 und 2016.

Das Plärrerhochhaus, vom Plärrer aus gesehen, 1956 und 2016. Fotos: © anonym (1956) – Sebastian Gulden (2016) (cc)

Bauherrin von Nürnbergs neuer Landmarke war die Energie- und Wasserversorgungs-Aktiengesellschaft (EWAG), die heute unter dem Namen N-ERGIE firmiert. Die Pläne zeichnete Wilhelm Schlegtendal. Der Architekt hatte an eben jener Stelle in den 1930er Jahren im Auftrag der nationalsozialistischen Stadtverwaltung ein monströses „Gau-Forum“ geplant, das jedoch nie gebaut wurde. Im Gegensatz zum klobigen Neoklassizismus dieses Entwurfs zeichnet sich das Hochhaus durch klare Linien, feingliedrige Stützen und Fassadengliederung aus. Die Fronten des Hauses sind als moderne Vorhangfassaden ausgeführt. Eine freitragende, geschwungene Haupttreppe, die wirkt, als ob sie schwebe, bestimmt die große Eingangshalle.

Daneben erschloss ein Paternoster-Aufzug die 15 Etagen. Früher, da das Plärrerhochhaus noch recht problemlos zugänglich war, war es vielen Nürnberger Kindern und Jugendlichen der größte Spaß, mit dem Paternoster herauf- und herunterzufahren. Er wurde 1976 aufgrund neuer Sicherheitsbestimmungen und aus Gründen des Brandschutzes zugunsten zweier Aufzüge entfernt. Ursprünglich konnte man nach Einbruch der Dunkelheit das „Hochhaus“, wie es von den Nürnbergern genannt wird, mit Lichtinstallation bewundern. Die Fenster wechselten mit der Beleuchtung ab, teilweise waren alle Fenster hell erleuchtet, teilweise nur einige. Der Lichtmast am Dach war in das Lichtspiel einbezogen. Hinter dem Mast verbarg sich ursprünglich ein UKW-Sender für die EWAG-Fahrzeuge und den VAG-Fuhrpark, seinerzeit ein Novum.

Eine Dame posiert auf der Dachterrasse des Plärrerhochhauses vor der Kulisse der Altstadt, 1961.

Eine Dame posiert auf der Dachterrasse des Plärrerhochhauses vor der Kulisse der Altstadt, 1961. Foto: © anonym (cc)

An der Spitze des Gebäude plante Architekt Schlegtendal ein zurückgesetztes Attikageschoss mit typischem Flugdach und einer großzügigen Dachterrasse. Von hier genießt man einen phänomenalen Rundumblick auf Nürnberg. Im Attikageschoss bestand lange Zeit eine Teestube, in der die Nürnberger Oberbürgermeister ihre Ehrengäste zu empfangen pflegten. 1960 etwa waren hier der kürzlich verstorbene thailändische König Bhumibol und Bundespräsident Heinrich Lübke zu Gast. Später wurden Terrasse und Teestube für die Öffentlichkeit geschlossen. Der traurige Hintergrund: Mehrere Menschen hatten sich von dort in den Tod gestürzt.

Anlässlich seines 64. Geburtstages 2017 soll Nürnbergs bekanntestes Hochhaus, das seit 1988 unter Denkmalschutz steht, für 50 Millionen Euro aufwendig saniert werden. Es bleibt zu hoffen, dass der Charme und die Ausstattung der Wirtschaftswunderzeit dabei erhalten bleiben. Nürnberg hat in den letzten drei Jahrzehnten viele gerade der besonders gelungenen Bauten aus der Zeit des Wiederaufbaus verloren. Möge dem Plärrerhochhaus also ein besseres Schicksal beschieden sein, auf dass es auch weiterhin ein schillerndes Wahrzeichen Nürnbergs bleibe.

Was das Bild noch erzählt

Unser historisches Foto versprüht die Aufbruchstimmung und den Fortschrittsglauben der Wirtschaftswunderjahre. Die Straßenbahnen und der „Plärrer-Automat“ als Boten der Motorisierung und Automatisierung setzen Akzente vor dem Weichbild des modernen Hochhauses. Die Menschen werden an jenem 18. Februar 1956 indessen wenig dynamisch unterwegs gewesen sein. Bei eisigen Rekordtemperaturen von -28° C kein Wunder!

Der Plärrer wurde nach dem Zweiten Weltkrieg fast alle zehn Jahre komplett umgestaltet. Schöner wurde er damit leider nicht. Auch den oben erwähnten Plärrer-Automaten – so benannt wegen des automatischen Postamtes (Selbstwählfernsprechzellen und Briefmarkenautomaten) in seinem Inneren – gibt es nicht mehr. Der filigrane Bau aus Stahl und Glas, ein Meisterwerk der Neuen Sachlichkei, erbaut 1928 bis 1929 von Baurat Walter Brugmann, fiel 1977 dem Bau des U-Bahnzugangs zum Opfer, nachdem er schon in den Wirtschaftswunderjahren verkürzt worden war.

Andere Vorher-Nachher-Bildfolgen von Stadtbild im Wandel

Fotogener Dauerbrenner: Die „Sutte“ des Heilig-Geist-Spitals

Wintertraum aus Schnee und Sandstein: Das Haus Spittlertorgraben 35

Noblesse aus zwei Epochen: Das Anwesen Marientorgraben 9

Blog abonnieren
'Nürnberg und so' Blogfeed abonnieren

Zusätzlich zu dem Podcast stellt 'Nürnberg und so' auch immer wieder begleitende Geschichten und Informationen aus der Metropolregion Nürnberg vor.

Blog-Artikel als RSS Feed abonnieren

Foodtrucks & Street Food
Finde mit Craftplaces Foodtrucks und Street Food

Logo Craftplaces - mobile Unternehmen wie Foodtrucks und Street Food finden

Die besten Foodtrucks und Street Food in deiner Stadt suchen, denn mobile Unternehmen sind immer und überall für dich da. Craftplaces zeigt dir wo und wann sie unterwegs sind.

Du willst nichts verpassen?
Anmeldung E-Mail Newsletter 'Nürnberg und so'

Anmeldung zum E-Mail Newsletter

Sätze für die Ewigkeit
Podcast Nürnberg und so
Die Crew eines Kreuzfahrtschiffs schläft auch an Board. Es wäre etwas umständlich die jeden Tag einzufliegen.
Wolfgang Kießling in Sendung No. 11
Array
Jörg Korinek in Sendung No. 32
Wenn ich von Messern und scharfen Klingen erzähle, dann sehe ich das Leuchten und Glänzen in den Augen der Männer.
Thomas Holz in Sendung No. 14
Letzte Podcast Sendungen
Nürnberg und so

Jörg Korinek / Podcast-Sendung No. 32

Veröffentlicht am 05.05.2015

Den geborenen Göppinger lockte ein Praktikum in die Frankenmetropole. Dem Weg zum Informatik-Studium gingen einige bundesweite Schulaufenthalte voraus, bei denen er Orientierung gewann und diverse…

zur Sendung No. 32

Roland Rosenbauer / Podcast-Sendung No. 31

Veröffentlicht am 11.02.2015

Aus Cadolzburg kommend, finanzierte er sich mit dem "Ruf der Unendlichkeit" oder der "Rache des Knochenmannes" seine Schulzeit. Trotz BWL Studium landete er schließlich beim Jugendfunk des…

zur Sendung No. 31

Aktuelle Magazin-Artikel
Nürnberg und so

Zehn Fragen an Startup Craftplaces aus Nürnberg

Veröffentlicht am 10.02.2019

Mit der Technologie des Startups Craftplaces finden Millionen Street Food Kunden Foodtrucks. Das junge Technologie-Unternehmen strebt an, das in 5 Jahren alle Foodtrucks in Europa und den USA mit…

weiterlesen

Fotogener Dauerbrenner: Die „Sutte“ des Heilig-Geist-Spitals

Veröffentlicht am 28.12.2018

In den letzten Wochen wurde sie wieder zehntausendfach geknipst: Die malerische Westfront des Heilig-Geist-Spitals. Sie ist nicht nur eines der beliebtesten Fotomotive Alt-Nürnbergs, sondern hat…

weiterlesen

Interview zum Afrika Film

Veröffentlicht am 18.12.2018

Eigentlich war das alles ja gar nicht so geplant gewesen – das mit dem so lange bleiben, das mit dem Alleinsein und dem Weg zu sich selbst. Doch die Frage ist, ob man in diesem Leben so etwas…

weiterlesen

Wintertraum aus Schnee und Sandstein: Das Haus Spittlertorgraben 35

Veröffentlicht am 14.12.2018

Bis zum Zweiten Weltkrieg waren prächtige Vorstadthäuser mit Sandsteinfassaden und Vorgärten in Nürnberg ein vertrauter Anblick. Sie vermittelten weltstädtisches Flair, städtebauliche…

weiterlesen