Malerische Stille: Ein Winterspaziergang an der Vestnertormauer

Aktualisiert am 25. Dezember 2017 von
Vestnertormauer

Vestnertormauer und Vestnertorgraben unter einer dicken Decke Neuschnee, 1905/1927. Foto: © Verlag Ernst Nister (Sammlung Sebastian Gulden, cc)

Nach Adventstrubel, Geschenkelawine und Weihnachtsschmaus sehnen sich viele nach Ruhe und Entspannung, gern auch im Freien. Die Nürnberger Vestnertormauer war schon früher ein beliebtes Ziel für Winterspaziergänger.

Die sanften Strahlen der Wintersonne dringen durch die weiße Wolkendecke und tauchen die verschneiten Dächer in sanftes, rosafarbenes Licht. Nur das leise Knarzen der Stiefelsohlen im Schnee durchbricht die Stille… Wenige Motive vermögen die Besinnlichkeit der Weihnachtstage so auszudrücken wie unsere historische Ansicht der Vestnertormauer und des Vestnertorgrabens – auch wenn die stimmungsvollen Farben zugegebenermaßen das Werk eines begabten Retuscheurs sind.

Der Name des Mauerzugs, des Grabenteils und der seit 1865 parallel dazu verlaufenden Straße leiten sich vom Vestnertor, einem der fünf alten Haupttore der Nürnberger Altstadt, ab, das der maltesische Festungsbaumeister Antonio Fazuni zwischen 1538 und 1542 zusammen mit den Bastionen im Norden der Kaiserburg errichtete. Die Burg oder „Veste“ war es auch, die wiederum dem Tor seinen Namen lieh.

Promenade der High Society

Die in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts angelegte Vestnertormauer reicht vom Luginsland im Westen bis zum Maxtor im Osten. Der Begriff „Maxtor“ ist für uns Heutige missverständlich, denn an Stelle des besagten Tores klafft ein schlichtes Loch in der Mauer. Den erst 1856 von Stadtbaurat Bernhard Solger errichteten Torbau hat man nämlich 1877 schon wieder weggerissen. Der banale Grund: Er behinderte den mittlerweile immens gewachsenen Durchgangsverkehr.

Vestnertorgraben und -mauer, aufgenommen zwischen 1905 und 1927 und 2017.

Vestnertorgraben und -mauer, 1905/1927 und 2017. Fotos: © Verlag Ernst Nister (1905/1927, Sammlung Sebastian Gulden) – Sebastian Gulden (2017, cc)

Jene, die den Ausblick in unserer Bildfolge tagtäglich von ihren Fenstern aus genossen, gehörten zu denen, für die Weihnachten schon vor rund einem Jahrhundert ein Fest des Überflusses war. Am Vestnertorgraben wohnten damals die Reichen und Einflussreichen, etwa der Bleistiftfabrikant Gustav Adam Schwanhäußer, der Ingenieur und Erfinder Otto Krell senior und – in den 1920er Jahren – Oberbürgermeister Hermann Luppe.

Vielleicht erklärt diese Tatsache den eigenwillig anmutenden Blickwinkel, den der Fotograf einst wählte: Luginsland und Kaiserstallung, sonst die Stars auf unzähligen Ansichtskarten, sind nur am rechten Bildrand angeschnitten. Im Mittelpunkt stehen die Mauer und die Häuser am Rande der Altstadt. Vielleicht war es Theodor Stroefer, Geschäftspartner des Verlegers Ernst Nister, der die Anregung zu diesem Motiv gab. Er wohnte nämlich gleich unterhalb des Standorts des Fotografen in der Mietsvilla Vestnertorgaben 19.

Vom Krieg gezeichnet

Fünfeckiger Turm, Kaiserstallung und Luginsland gehörten zu den stärksten zerstörten öffentlichen Bauten Nürnbergs. Dort stand fast kein Stein mehr auf dem anderen. Wegen ihrer großen Bedeutung für die Geschichte und das Stadtbild Nürnbergs wurden sie nach Planung von Julius Lincke bis 1952 – zumindest äußerlich – in enger Anlehnung an den alten Zustand wiederaufgebaut.

Blick über den Paniersplatz nach Westen auf die Kaiserstallung, den Luginsland und die Obere Söldnersgasse, 2017.

Blick über den Paniersplatz nach Westen auf die Kaiserstallung, den Luginsland und die Obere Söldnersgasse, 2017. Foto: © Sebastian Gulden (cc)

Nicht so die Wohnhäuser südlich der Vestnertormauer: Ihre Überreste wichen allesamt Neubauten. Gleichwohl gaben sich Stadtplaner und Architekten alle Mühe, ein bisschen von dem verlorenen Charme in die neue Zeit hinüberzuretten. Mit gestalterischen Kniffen wie Erkern, Portalgewänden aus Sandstein und „Kunst am Bau“ mit Szenen aus der Tierwelt und der Nürnberger Geschichte bereicherten sie die Fassaden; die Grundgestalt der Häuser mit ihren malerischen Versprüngen der Dachfirste orientiert sich eng am Zustand der Vorkriegszeit.

Weniger bekannt und weniger offensichtlich ist, dass auch die Stadtmauer in diesem Bereich trotz ihrer äußerst massiven Bauweise viele Schäden hat hinnehmen müssen. Der nach Norden hin abgerundete Grabenturm „Schwarzes I“ in der Mitte der beiden Vorher-nachher-Fotos konnte erst 2005 wiederaufgebaut werden; der auf der Nister’schen Karte in der Ferne ganz links erkennbare Mauerturm mit Spitzhelm (neben dem Turm „Schwarzes B“) dagegen ist heute völlig verschwunden.

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